Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesnöter

Liebesnöter

Titel: Liebesnöter
Autoren: Gaby Hauptmann
Vom Netzwerk:
immer im Mantel.
    »Es ist Moritz! Da bin ich mir ganz sicher!«
    »Und wie soll das alles Sinn machen?«
    Ben kickte den Verschluss auf und nahm einen tiefen Schluck aus der Flasche. »Magst du auch eins?«, fragte er.
    Ella schüttelte den Kopf. »Das weiß ich doch auch nicht«, sagte sie leise.
    »Aber er ist doch ertrunken. Das hast du mir damals erzählt!«
    »Er ist verschwunden!«, berichtigte Ella. »Ob ertrunken, wusste ja keiner, weiß noch immer keiner. Jedenfalls haben ihn ganze Suchmannschaften weder im See noch im Schilf oder sonst wo gefunden.«
    »Aber dieser See ist ja auch sehr verzweigt und nicht so ganz ohne mit seinen tiefen, kalten Stellen. Kraterseen können durchaus gefährlich sein.«
    »Ja, gut, aber wir waren ja auf der anderen Seeseite. Dort ist er flach und völlig harmlos.«
    »Harmlos …«
    Ben ging ins Wohnzimmer und ließ sich aufs Sofa plumpsen.
    »Ben.« Ella folgte ihm zögerlich und setzte sich neben ihn. »Ich brauch dich jetzt. Mir geht es nicht gut. Alles ist wieder da, ich habe vorhin im Auto jedes Detail vor mir gesehen!«
    Er sah sie an, dann zog er sie zu sich und fuhr ihr mit seiner Hand übers Haar. »Wir werden dieses Moritz-Gespenst wieder vertreiben, und wenn er nicht gehen will, dann bekommt er es mit mir zu tun!«
    Das Portrait verfolgte Ella die ganze Nacht und ließ sie keinen Schlaf finden. Sie hatte ihren Kopf auf Bens starke Schulter gelegt, das beruhigte sie, obwohl er längst im Tiefschlaf war. Glaubte er ihr eigentlich? Sie hatte ihm das Foto gezeigt, aber weil er Moritz nie gesehen hatte, war es für ihn nur ein abstraktes Bild.
    Sollte sie zu Moritz’ Eltern gehen? Sie stellte sich das vor … nach vierzehn Jahren. Sie selbst war inzwischen vierunddreißig, arbeitete für eine Immobilienfirma, maklerte, vermietete und verkaufte Wohnungen. Ihr Leben war gesettelt. Hermann Springer war inzwischen im Landtag, strahlte und prahlte, seine Frau dagegen war immer weniger geworden. Sollte sie dieser Frau das Herz zusätzlich schwermachen? Sie hatte ihr einziges Kind verloren und kam, so hörte man, einfach nicht darüber hinweg. Vor allem nicht über die Ungewissheit.
    Ella schlief der linke Arm ein. Sie musste sich drehen, aber damit würde sie ihre sichere Bastion aufgeben. Sie entschied sich trotzdem dafür, und Ben, der es im Schlaf gespürt haben musste, drehte sich gleich mit.
    Sie konnte mit Ben nicht reden, zumindest nicht vernünftig. Steffi war auf diese Entfernung auch keine Stütze. Mailen? Skypen? Zu unpersönlich. Sie musste die Emotionen des anderen spüren, sie brauchte jemanden, der hier mit ihr fieberte. Um sechs in der Frühe schlief sie endlich ein, nur um eine Stunde später von Bens Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden. Sie spürte, wie er sich an sie drängte, und dachte, dass ein bisschen Morgensex gegen die ständigen Grübeleien gut sein könnte. Aber sie kam von den Gedanken nicht los – und dachte plötzlich: ganz genau wie damals mit Tom. Plötzlich spürst du, dass irgendetwas passiert, sich irgendetwas zusammenbraut, vor dem du nicht fliehen kannst.

Mittwoch
    Ben stand schon an der Kaffeemaschine, als sie hinunterkam, und schob ihr einen fertigen Cappuccino hin.
    »Du glaubst das wirklich«, sagte er und strich sich zwei Locken aus der Stirn. Das war sein Dilemma. Er wollte keine Locken, aber wenn die Haare etwas zu lang wurden, begannen sie sich zu kräuseln.
    »Das hat nichts mit Glauben zu tun«, entgegnete sie. »Ich weiß es!«
    Er kratzte sich am Kinn.
    »Du bist eine schöne Frau«, sagte er unvermittelt.
    Ella nickte. Das wurde ihr oft gesagt, dabei stimmte es nicht wirklich. Ihr Gesicht war asymmetrisch, ihre Augen lagen zu tief, aber irgendetwas in ihrem Gesicht schien die Menschen anzuziehen.
    »Deine Rehaugen und dein voller Mund. Du schmollst immer, und man weiß nicht, warum«, fuhr Ben nachdenklich fort.
    »Im Moment schmolle ich, weil du mir nicht glauben willst.«
    Ben lachte. »Du schmollst nie. Das ist nur so ein Hingucker. Man glaubt das. Und es hat etwas Kindliches, vielleicht zieht das die Kerle an. Und dann wollen sie dir alle unbedingt eine Wohnung abkaufen, um zu zeigen, was für tolle Hechte sie sind.«
    »Ist doch gut, davon lebe ich.«
    Ben nickte. »Ja, aber es stimmt nicht. Vorspiegelung falscher Tatsachen. Du bist überhaupt nicht die Schwache, in Wirklichkeit überlegst du nämlich seit heute Nacht, ob du diesen Kerl suchen sollst.«
    In dem Moment, als er es sagte, wusste Ella, dass er recht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher