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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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was hinter seinem Rücken vorging. Aber Alajews Blick war ausdruckslos, ja, er wandte sich sogar um, zeigte auf eine Palme und sagte laut: »Auf die sind wir besonders stolz, Freundchen! Sie überlebt sogar den Winter! Keiner weiß, wie sie das schafft! Aber sie überlebt.«
    Noch ein Schritt, sicher und ruhig wie die anderen, aber im Nacken das Gefühl, als brenne man ihm ein Kainszeichen ein. Dann war Semjonow bei Alajew, legte den Arm um dessen Schulter und sagte laut: »Eine Fehlzündung, Wassili Maximowitsch! Sie kennt mich doch nicht! Ich habe Pech an diesem Sonntag.«
    Langsam gingen sie weiter, drehten sich nicht um, blieben sogar an besonders herrlichen Rosenbeeten stehen und bewunderten die Kunst der Genossen Gärtner.
    »Wo ist sie«, fragte nach einer Weile Semjonow leise und beugte sich über einen Strauch mit blutroten Blüten.
    »Ich sehe sie nicht mehr. Wer war denn das?«
    »Marfa Babkinskaja, die Dolmetscherin von Intourist, die mich betreuen und bewachen sollte.«
    »Sie hat Sie erkannt?«
    »Sie glaubte es. Sie redete mich mit Heller an. Aber ich habe sie wohl unsicher gemacht. Sie hat nicht Alarm geschlagen.«
    »Das will nichts bedeuten! O Himmel, eine Riesenscheiße ist's! Sie weiß jetzt, wie Sie aussehen! Sie weiß, daß Sie noch in Moskau sind! Sie hat mich gesehen …«
    »Wie will man aus sechs Millionen Einwohnern uns zwei herausholen, Stepan Iwanowitsch?«
    »Das ist unser einziger Trost!« Alajew wischte sich mit einem großen, gepunkteten Taschentuch den Schweiß von der Stirn. »Mir ist der Sommer vergangen, Brüderchen! Schlagen wir einen Haken und gehen wir nach Hause. Und kein Wörtchen zu Jekaterina. Sie bekommt sonst noch mehr Angst! Und Angst ist die letzte Verpackung, die für uns taugt.«
    Sie mischten sich in einen Strom mongolischer Reisender, die von vier Führern durch den Botanischen Garten geleitet wurden und sich Namen anhören und Bäume ansehen mußten, die sie in ihrem ganzen weiteren Leben nie mehr erwähnen würden. Aber sie waren beeindruckt von Mütterchen Rußland und wunderten sich ehrlich, was alles auf dem Rücken der Erde wächst außer Reis, Mais, Steppengras, Sonnenblumen und dicken Bohnen.
    Eine halbe Stunde später erreichten Alajew und Semjonow die U-Bahn-Station Botanischer Garten. Sie warteten in der kirchenhohen unterirdischen Halle, bewunderten die hellen Marmorverkleidungen und die Skulpturen, die die Natur verherrlichen sollten. Alajew erzählte begeistert vom schönsten und größten Moskauer U-Bahnhof, dem Komsomolskaja-Ring, der auf 72 achteckigen Pfeilern steht, die alle mit hellem Gasgan-Marmor aus Usbekistan verkleidet sind, aber während sie wie die anderen Wartenden sich die Zeit mit dem Lob der sowjetischen Arbeit vertrieben, spähten sie um sich und sicherten nach allen Seiten.
    »Nichts!« sagte Alajew erleichtert, als sie endlich im Zug saßen und unter Moskaus Pflaster lautlos dahinglitten. »Wir haben sie abgeschüttelt. Aber das heißt nicht, daß wir sie überzeugten. Es werden wohl vier Wochen vergehen müssen, ehe wir weitersehen.«
    »Vier Wochen?« Semjonow lehnte sich zurück. »In vier Wochen will ich schon bei Tante Xenia sein.«
    Alajew hob die Schultern, aber er schwieg. Er mußte es selbst wissen, dachte er. Es ist nicht mein Körper, der später im Bergwerk zerschunden wird. Warum haben sie alle keine Zeit, die Brüderchen aus dem Westen? Rußland ist noch immer ein Kind, und es ist schon tausend Jahre alt.
    Auf der Station Kursker Bahnhof stiegen sie aus und gingen durch die fast menschenleeren Straßen nach Hause. Über dem Pflaster spiegelte die Hitze, wie eingewachst sah es aus und dann blank poliert.
    Da sie unvermutet früh wieder in die Wohnung kamen, trafen sie Jekaterina bei einer peinlichen Handlung an.
    Sie hatte die Abwesenheit Alajews zum Anlaß genommen, aus einer Kiste eine alte Ikone zu holen, an die Wand zu hängen, zwei Kerzen davor zu setzen und einen Kranz Feldblumen. Nun hockte sie davor, ganz im Gebet versunken, und merkte nicht, wie hinter ihr die Tür aufgeschlossen wurde und die beiden Männer die Wohnung betraten.
    »Und das in einem kommunistischen Haus«, sagte Alajew leise und schlich auf Zehenspitzen nebenan ins Schlafzimmer. »Ihr Onkel war ein Pope, Pawel Konstantinowitsch, müssen Sie wissen. Pope in Tscheljabinsk. Nach der Oktoberrevolution, als man glaubte, alles zerschlagen zu müssen, was Mütterchen Rußland in Jahrhunderten geboren hatte, erschlug man auch ihren Onkel, den Popen.
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