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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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saß da, sah in die Nacht hinaus, erlebte das Erbleichen des Mondes und die Geburt der Sonne, und sie ging strahlend und golden auf, was er als gutes Zeichen nahm. Ein Kommen und Gehen war um ihn, Namen wurden gerufen, Glückwünsche geschrien, die neuen Väter rannten hinaus, den Schwestern nach. Ein kleiner Mann, zerknittert und vergrämt, wartete schon zehn Stunden, und er hatte in seinen kleinen Körper Mut gepumpt, indem er trank. Nun war es soweit, man rief seinen Namen, und er schwankte hinaus, konnte kaum stehen und noch weniger gehen, und statt sein Kind zu bewundern, schaffte man ihn weg in einen Kellerraum und befahl ihm, seinen Rausch auszuschlafen.
    Am Morgen war Semjonow allein. Die vierzehn Väter hatten ihn verlassen und ihm so viel Glück gewünscht, wie sie bereits besaßen.
    »Nur keine Sorge!« sagte ihm ein dicker Mann, der nach saurer Milch roch und tatsächlich ein Ziegenmilchhändler war. »Sie sind noch alle gekommen! Es ist noch keines drin geblieben …« Und Semjonow hatte gelächelt und sich für den guten Rat bedankt, denn er war ein höflicher Mensch.
    Er zwang sich, nicht daran zu denken, was Ludmilla jetzt irgendwo in diesem großen Haus erlitt, wie sie schrie und stöhnte und nach ihm rief. Er zwang sich, jetzt nicht an die Hütte an der Muna zu denken und an die langen Stunden, in denen er neben Ludmilla saß und hilflos zusehen mußte, wie sie verblutete.
    Hier ist sie gut aufgehoben, dachte er immer wieder. Hier kann so etwas nicht geschehen. Ein ganz modernes Krankenhaus ist es, der Universität von Teheran angeschlossen. Deutsche Ärzte leiten es. Ludmilla ist ein zartes Weibchen, aber sie haben hier Erfahrung. Eine Geburt … was ist das schon!
    Und so saß er, blickte in den Garten, beobachtete einen rötlich schillernden Käfer, der über die äußere Fensterbank kroch und sich in die Sonne legte wie ein Pensionär in den Sand von Westerland; und er vermied es, auf die Uhr an seinem Handgelenk zu sehen, um nicht noch unruhiger zu werden, als er es schon war.
    »Herr Semjonow …«
    Er sprang auf. Ein junger, ihm unbekannter Arzt stand in der Tür. Er bemühte sich, Iranisch zu sprechen und sah Semjonow dabei fragend an.
    »Können Sie mich verstehen, Herr Semjonow? Ich spreche leider kein Russisch …«
    »Sie können Deutsch mit mir reden«, sagte Semjonow mit trockener Kehle. Am Fenster blieb er stehen. Hier habe ich Halt, dachte er, wenn er mir eine schlechte Nachricht bringt. Mit einem Tiger habe ich gekämpft … aber vor meinen eigenen Beinen habe ich Angst.
    »Das ist gut!« Der junge Arzt lächelte freundlich. »Es freut mich! Darf ich Ihnen gratulieren? Ein Junge ist es!«
    »Ein Junge«, sagte Semjonow langsam. In seinen Augenwinkeln zuckte es. Kraft kehrte in seine Beine zurück, das Herz schlug ruhig und laut, und er hatte das Gefühl, als rausche um ihn der turmhohe Wald der Taiga und brause das Wasser der Lena über die rundgeschliffenen Steine der Stromschnellen.
    »Ja! Ein Junge!« wiederholte der Arzt.
    »Alexeij Pawlowitsch …«
    »Gratuliere!«
    »Kann ich ihn sehen?« fragte Semjonow. »Wie geht es meiner Frau?«
    »Sie hat alles fabelhaft überstanden.« Der junge Arzt nickte. »Natürlich können Sie Ihre Frau und das Kind sehen. Aber nur ein paar Minuten. Ein bißchen schwach ist sie noch …«
    »Danke, Doktor.« Semjonow stieß sich vom Fenster ab. In seinem Nacken brannte die Morgensonne, und er kam sich vor wie der Sonne entstiegen, so hell und glücklich und frei. »Können wir gehen?«
    »Bitte. Ich begleite Sie, Herr Semjonow.«
    Aus dem Zimmer gingen sie, über einen Gang, fuhren mit einem Fahrstuhl in den vierten Stock und kamen in einen Teil des Krankenhauses, wo einzelne Zimmer lagen mit kleinen, markisengeschützten Balkonen. Von ihnen überblickte man Teheran, Moscheenkuppeln und Minarette, die Kasbah und die Villen der Neustadt. Ein Blick in die Märchenwelt.
    »Zimmer zehn«, sagte der junge Arzt. Er musterte Semjonow von der Seite. »Für einen Russen sprechen Sie ein fabelhaftes, akzentfreies Deutsch.«
    »Ich bin Deutscher.« Semjonows Blick flog aus einem Fenster hinaus in den unter ihnen liegenden Palmengarten. Dort wehte an einer weißen Fahnenstange die deutsche Flagge. Schwarz-rot-gold. Etwas wie Wehmut lag in Semjonows Blick, als er sich ab wandte. »Ich war Deutscher.«
    »Das verstehe ich nicht.« Der Arzt blieb stehen. Ein wenig verwirrt war er. »Sie heißen Semjonow.«
    »Jetzt, ja. Früher hieß ich Franz Heller. Aber ich
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