Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Jenissej. Die nächste größere Stadt ist Krasnojarsk.«
    »Dahin führt eine Fluglinie Krasnojarsk - Irkutsk. Aber dann … Sie kommen mitten in die Taiga, Pawel Konstantinowitsch.«
    Semjonow nickte. Er hatte gelernt, tagelang zu wandern, von Moos und Wurzeln zu leben, in Blätterhütten zu schlafen oder zwischen aufgeschichteten Ästen und Baumstämmen. Er hatte es im Sommer geübt, wenn Millionen Mücken und Moskitos ihn überfielen, und im Winter, wenn der Eiswind in das Knochenmark fuhr. Einmal in den Sümpfen Floridas, das anderemal im Norden Alaskas. Für ihn war die Taiga, die sagenhafte, ewig schweigende, kein Schrecken mehr.
    Als Alajew und Semjonow in den Botanischen Garten einbogen und die breite Allee mit den weißen Bänken entlanggingen – Alajew erklärte gerade, daß auch er vier Bänke gestiftet hätte –, sah Semjonow sie.
    Marfa Babkinskaja.
    Sie stand vor einem Springbrunnen und fütterte Goldfische.
    Als ihre Blicke ihn trafen, war es wie der Einschlag einer Bombe.
    Semjonow wollte weitergehen. Sie kann mich nicht erkennen, dachte er. Ich trage keine Brille mehr, und mein Haar ist wie ein blonder Igel. Ich sehe dem Mann, den sie kannte, nicht mehr ähnlich.
    Er ging an ihr vorbei. Und dann drehte er sich nach ihr um, einem unbezähmbaren Zwang folgend.
    Sie sah ihn groß an.
    Am dunklen, tiefen Blick ihrer Augen las er, daß sie ihn erkannt hatte.

2
    Alajew war schon ein paar Schritte vorgegangen. Er redete noch immer von seinen vier gestifteten Bänken, von dem Händedruck des Komiteevorsitzenden für die Pflege der Moskauer Kulturparks, er redete und redete und merkte nicht, daß er in die Luft sprach. Erst als von Semjonow keine Bemerkung zu hören war, erkannte Alajew, daß Semjonow gar nicht mehr neben ihm ging. Erschrocken fuhr er herum.
    Er sah Semjonow am Goldfischbrunnen stehen und ein Mädchen anstarren.
    »He, Brüderchen!« rief er geistesgegenwärtig. Es gab so schnell keinen, der Alajew aus dem Sattel hob. »Kommt da aus dem tiefen Süden, wo die schönen Weiber wie Sonnenblumen wachsen, und gafft eine Moskauerin an! Komm, Brüderchen!«
    Marfa Babkinskaja starrte Semjonow noch immer an. Man sollte jetzt schreien, dachte sie. Da ist er! Man sucht ihn! In ganz Rußland sucht man ihn! Und er geht spazieren, an einem Sonntag, mitten unter uns! Haltet ihn, Genossen! Bindet ihn! Er ist gefährlich! Er hat Oberst Karpuschin aus der Fassung gebracht. Wißt ihr, was das bedeutet, Genossen? Nein, ihr wißt es nicht! Wer von euch kennt denn Karpuschin?
    Aber sie schwieg. Sie spürte nur einen Stich in der Brust, als Semjonow sie mit einer ganz anderen Stimme, als sie der Deutsche Franz Heller hatte, ansprach. Und er sprach russisch. Ein schönes Russisch, wie man es nur im alten Stammland der Zaren gesprochen hatte.
    »Wir kennen uns?« fragte Semjonow und lächelte breit. Seine blauen Augen leuchteten treuherzig. Er kam sogar noch einen Schritt näher, obgleich Alajew wieder »Komm, Brüderchen!« rief.
    »Gospodin Heller …«, stotterte Marfa Babkinskaja. »Sie sind doch Gospodin Heller, nicht wahr?«
    »Oh, wir verwechseln uns. Das ist schade! Und es hat so gut begonnen mit uns, Genossin. Ein alter Trick, der immer wirkt: Man glaubt, man sei miteinander bekannt, so eng wie die Goldfischlein dort im Becken.«
    »Wer ist der Genosse bei Ihnen?« fragte Marfa, nur um etwas zu sagen. Ihre Verwirrung war vollkommen. Sie stellte sich vor, wie der Mann vor ihr mit einer Brille aussah und wurde plötzlich unsicher. Die Nerven sind's, dachte sie. Ist's ein Wunder bei diesem Brüller Karpuschin? Alle macht er uns verrückt, alle!
    »Mein Freund? Er ist ein guter Kerl, Genossin.« Semjonow lächelte und winkte dem ein paar Schritte entfernt wartenden und wie auf glühenden Kohlen stehenden Alajew fröhlich zu. »Er heißt Wassili Maximowitsch Frolow, ist verheiratet und hat vier Kinderchen. Süße Kinderchen, Genossin. Ihm aus dem Gesicht geschnitten! Wenn Sie also an ihm Interesse haben … zu spät, Genossin. Zehn Jahre zu spät!«
    Semjonow zwinkerte listig mit den Augen, schwenkte seine flache Mütze, die er der Sonne wegen in der Hand trug, und entfernte sich.
    Dabei wartete er, das Kinn angedrückt, auf ihren Schrei. Er wußte nicht, was er tun sollte, wenn sie wirklich rief: Haltet ihn! Weglaufen? Es wäre sinnlos. Im Park gingen Tausende spazieren.
    Noch sieben Schritte … noch fünf … noch drei bis Alajew. Warum rief sie nicht? Was tat sie? Er versuchte, in Alajews Augen zu lesen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher