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Liebesnächte in der Taiga

Liebesnächte in der Taiga

Titel: Liebesnächte in der Taiga
Autoren: Heinz G. Konsalik
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habe das alles abgelegt, Doktor.«
    »Abgelegt?« Der Arzt sah Semjonow etwas konsterniert von oben bis unten an. Jung war er noch, er mußte gerade seine Examina gemacht haben. Es schien seine erste ärztliche Stelle in Teheran zu sein. »So etwas kann man doch nicht ablegen wie etwa ein altes Hemd. Man ist Deutscher, und man bleibt es doch immer …«
    »Natürlich, man bleibt es.« Semjonow vermied es, wieder zur Seite zu sehen. Der Anblick der deutschen Fahne lastete auf seinem Herzen. Es war merkwürdig, und er hätte es nie geglaubt … er dachte plötzlich an Deutschland und hatte Heimweh. »Sind Sie eigentlich stolz darauf, ein Deutscher zu sein?«
    Der junge Arzt hob die Augenbrauen. »Aber ja!«
    »Diese Antwort habe ich erwartet.« Semjonow nickte ein paarmal. »Ganz natürlich ist sie. Sie muß so sein. Aber man sollte einmal überlegen, ob man nicht vor allem stolz sein sollte, ein Mensch zu sein. Bloß ein Mensch. Das ist das Wichtigste.«
    »Und warum heißen Sie jetzt Semjonow?«
    »Das ist eine lange Geschichte, Doktor.« Semjonow knöpfte sich den Kragen auf. Ihm war heiß, und es war nicht allein wegen der Morgensonne. »Wenn ich einmal viel Zeit habe, will ich sie Ihnen gern erzählen. Es ist ein verteufeltes, herrliches, verfluchtes, geliebtes Leben. Wo, sagten Sie, liegt mein Sohn Alexeij Pawlowitsch?«
    »Zimmer zehn.« Die Stimme des jungen Arztes war plötzlich belegt. Mit Augen, in denen ein Wald von Fragen wogte, Fragen einer ganzen Generation, sah er Semjonow an. »Kann ich Sie nachher noch einmal sprechen?«
    »Immer …«
    »Ich glaube, ich habe noch viele Fragen, Herr Semjonow.«
    »Ich keine einzige mehr, Doktor!«
    »Sie Glücklicher!«
    Und das klang ehrlich, wie ein Seufzer.
    Semjonow sah sich um. »Glücklich?« sagte er leise. »Ja, ich bin glücklich … trotz vielem Unglück. Wirklich, ich bin glücklich. Zimmer zehn, sagten Sie?« Seine blauen Augen strahlten. »Ein Junge ist es? Ein großer, kräftiger Junge? Wäre es dumm, jetzt zu beten, daß er einmal anders leben möge als sein Vater? Daß er eine bessere Welt erlebt? Oder glauben Sie, dazu müsse Gott erst die Gehirne der Menschen auswechseln?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte der junge Arzt leise.
    »Ich auch nicht!« Semjonow atmete tief auf und breitete die Arme aus. Wie stark war er jetzt! »Und wie gut ist es, daß wir es nicht wissen!«
    Semjonow wandte sich ab und ging weiter. Den langen weißen Flur entlang mit den vielen Türen zu den Zimmern mit den kleinen Balkonen zum Märchenland.
    Die Sonne schien durch die Fenster. Heiß war es jetzt. Sehr heiß. Mit dem Handrücken wischte sich Semjonow den Schweiß von der Stirn.
    Aber als er zu dem Zimmer ging, über dessen Tür eine kleine schwarze 10 stand, war sein Schritt weit ausgreifend, fest und stark, wie es zu einem sibirischen Jäger aus der Taiga gehört.
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