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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind
Autoren: C Westendorf
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konnte er ja nicht einmal sagen, was für eine Form der Schatten gehabt hatte. Eher war es die Art und Weise der Bewegung gewesen. Rainer drehte sich wieder um, kniff die Augen zusammen und suchte die Gegend um die Haltestelle herum ab. Dabei fing er an, in seinen Erinnerungen zu kramen. Vielleicht hatte die Bewegung Ähnlichkeit mit der eines Phantoms aus einem alten Film gehabt, dennoch war er sicher, dass sie sich aus seinem eigenen Leben herleitete. Rainer fing an zu frösteln. Er stand auf, um ein paar Schritte zu gehen, heraus aus dem grellen Licht. Auf einmal kam er sich vor wie auf einem Präsentierteller. Rainer Herold griff in seine Manteltasche und holte ein Päckchen Zigaretten hervor. Er war nur einen Augenblick lang abgelenkt gewesen, aber nun bemerkte er, dass wirklich jemand hinter ihm stand. Rainer konnte den Atem des Schattens hören. Er wünschte sich einen Cut, die nächste Szene. Er hatte Angst davor, sich umzudrehen, und er kam auch nicht mehr dazu. Noch bevor er sich bewegen konnte, spürte er schon etwas Kaltes und Hartes an seiner Kehle. Allerdings war die metallene Klinge viel zu scharf, als dass er hätte fühlen können, wie sie sein Fleisch durchschnitt. Das Blut rann so schnell aus ihm heraus, dass Rainer augenblicklich kein Gefühl mehr in seinen Beinen hatte. Kälte breitete sich unerbittlich in ihm aus. Er fiel ins Gras und sah in den dunklen Winterhimmel, dann in das Schattengesicht. Kurz bevor er starb, wusste er auf einmal, wohin mit seiner Assoziation dieser merkwürdig kühlen Frauenaugen. In den Augen des Schattens über sich erkannte er das Mädchen Elsa. Fragend blickte Rainer sie an. Bilder seines Lebens zogen schnell an ihm vorbei und ganz zum Schluss Angela. Elsa.
    Als Elsa sein Gesicht anschließend mit schnellen geschickten Bewegungen bearbeitete, hatte sie endlich Gelegenheit, seiner stummen Frage zu antworten.
    „Ja, wir haben einander gekannt. Aber das zu wissen nützt dir jetzt auch nichts mehr.“
    Tom saß mit Anna vor dem Kaminofen und betrachtete seine Frau. Was für wunderschöne bernsteinfarbene Augen sie doch hatte. Wenn Anna wie jetzt ins Feuer schaute, reflektierten die hellen Einschlüsse in ihren Pupillen das Licht und funkelten golden. Tom nahm Anna in den Arm und versuchte vergeblich, eine widerspenstige Strähne ihres kurzen schwarzen Haares glatt zu streichen. Anna wirkte so zart und zerbrechlich, besaß aber eine ungeheure Energie. Auch wenn sie viel kleiner war als er und beinahe knabenhaft wirkte, wusste er doch, wie stark sie sein konnte. Er nahm eine ihrer schmalen Hände in die seine.
    „Was ist jetzt mit der Heizung“, holte sie ihn mit ihrer Frage soeben aus seinen Gedanken zurück.
    „Baumann sagt, ein neuer Kessel muss her. Er hat am Anfang gehofft, dass es nur am Brenner liegen würde, dann wären wir mit tausend Euro dabei gewesen.“

    „Und was wird ein neuer Kessel kosten?“
    „Viertausend Euro, den Einbau inklusive.“
    „Was? Für so ein Teil, das nichts weiter tut, als unser
    Heizöl zu fressen, müssen wir so viel Geld zahlen?“
    Anna wühlte in einem Stapel alter Zeitungen auf der Ecke des Wohnzimmertisches herum und fand schließlich, wonach sie gesucht hatte.
    „Hier, Tom, hör dir das an.“
    Sie begann, aus einer Werbebroschüre für Zweistoffkessel vorzulesen, eine Heizung, die sich wahlweise mit Öl oder Holz befeuern lassen würde.
    „Dieser Kessel macht Sie unabhängig, und Sie tun gleichzeitig etwas für die Umwelt. Holzverbrennung ist annähernd CO 2 -neutral“, fuhr Anna fort. „Der Baum vernichtet im Laufe seines Wachstums durch die Fotosynthese einen bestimmten Prozentsatz an CO 2 . Bei seiner Verbrennung wird ungefähr der gleiche Anteil an CO 2 freigesetzt, sodass man von einer sehr umweltfreundlichen Art zu Heizen sprechen kann. Außerdem ist Holz ein nachwachsender Rohstoff, Öl dagegen nicht. Ich finde das sehr überzeugend.“
    „Hört sich interessant an, aber bestimmt ist so ein Ding auch sehr teuer.“
    Anna schlug die Broschüre noch einmal auf.
    „Fünfeinhalbtausend Euro. Und der Menzel hat uns doch schon oft angeboten, Holz für den Kamin zu besorgen. Ich glaube, er hat eine Jagd gepachtet.“
    Tom nahm sie wieder in den Arm. „Dann sollten wir mal mit ihm reden,“ sagte er. „Wenn er uns das Holz zu einem fairen Preis anliefert, ist das Ganze vielleicht gar keine so schlechte Idee.“
    Anna sah ihren Urlaub nun endgültig den Bach hinuntergehen und seufzte.

    In dieser Nacht träumte sie
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