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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind
Autoren: C Westendorf
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so wäre sie ihnen sicher schon aufgefallen. Auch Alfred, der Wirt des Gasthofs, in dem er sie gestern kennen gelernt hatte, konnte sich nicht daran erinnern, Angela schon jemals zuvor gesehen zu haben. Rainer hatte ihn heute Nachmittag gründlich nach seiner Schönenausgefragt, allerdings ohne Ergebnis. Nicht einmal Elfi hatte ihm weiterhelfen können, dabei war sie früher für ihr fotografisches Gedächtnis bekannt gewesen. Zuerst war Elfi abweisend und zickig gewesen. Doch nach einer Viertelstunde, in der Rainer sie hatte reden lassen, war sie endlich bereit gewesen, sich seine Fragen anzuhören. Ebenfalls ohne Ergebnis. Diese Angela schien eine Unbekannte für sie alle zu sein, und doch war da etwas in ihrem Blick gewesen. Etwas, das ihm vertraut vorgekommen war. Die Ahnung eines Gesichtes begann aus den Tiefen seines Unterbewusstseins hervorzukriechen, aber es gelang ihm nicht, es zu fokussieren. Rainer wusste nicht, wohin mit seiner Assoziation dieser Frauenaugen. Nachher würde er Angela fragen, wo sie ihre Wurzeln hatte. Dieses Gefühl, ihr schon einmal irgendwo begegnet zu sein, war wohl nichts weiter als eine Wunschvorstellung.
    Heute wählte Rainer seine Kleidung mit Bedacht. Als er anschließend sein Spiegelbild betrachte, war er eigentlich ganz zufrieden. Wäre da nur nicht dieser lästige Bauchansatz, den er trotz des vorteilhaften Schnittes seines Jacketts nicht ganz verstecken konnte. Er zog die Schultern hoch und atmete tief ein, um, wenn auch nur für einen kurzen Moment, die Illusion zu haben, eine einigermaßen sportliche Figur zu besitzen. Im Grunde passte diese Verabredung heute Abend überhaupt nicht in seine Pläne, schließlich musste er morgen früh aufstehen. Der Termin, vielleicht entscheidend für seine weitere berufliche Zukunft, würde um neun Uhr in Hamburg in den Geschäftsräumen der Bank stattfinden. Doch für Angela wollte er eine Ausnahme machen. Und wenn er darauf achtete, nicht zu viel zu trinken, dürfte er morgen, trotz einer hoffentlich durchwachten Nacht, dennoch einigermaßen fit sein.

    Rainer setzte sich in Bewegung, obwohl er noch viel Zeit hatte. Aber er wollte vor Angela am Treffpunkt sein, um keinen Preis der Welt wollte er versäumen zu sehen, wie sie auf ihn zukam. Um sich die Zeit bis dahin zu vertreiben, steckte er im Gehen noch das Wochenblatt ein, eine Zeitung des Landkreises, die er früher gern gelesen hatte. Sie berichtete über Ereignisse wie Fasching, Dorf- und Schützenfeste oder Veranstaltungen der Freiwilligen Feuerwehr und der Kirchenjugend. Ganz besonders hatten ihn immer die Sportseiten interessiert, denn als Jugendlicher war er ein annehmbarer Fußballspieler gewesen. Zusammen mit seiner Mannschaft hatte er mehr als einmal in dieser Zeitung gestanden.
    Anna Greve untersuchte gerade den Fall eines alten Mannes, der tot in seiner Wohnung aufgefunden worden war. Meistens eine Routinesache, trotzdem war es wichtig, genau zu prüfen, ob nicht doch mehr dahintersteckte. Soeben hatte sie ein abschließendes Gespräch mit Dr. Severin aus der Rechtsmedizin geführt, und er hatte ihr bestätigt, was sie zuvor schon angenommen hatte. Der Mann war an Altersschwäche gestorben, und selbst wenn sein Körper bereits stark verwest gewesen war, gab es an diesem Befund keine Zweifel. Anna klappte den Aktendeckel zu und goss sich einen Kaffee ein. Sie sah auf die große Wanduhr über der Tür. Eigentlich hatte sie Feierabend, konnte sich aber noch nicht dazu entschließen, nach Hause zu fahren. Es hatte beinahe den ganzen Tag gedauert, bis Annas Füße endlich wieder warm geworden waren, und an dieser Behaglichkeit wollte sie so schnell nichts ändern. Zum ersten Mal seit heute Morgen dachte sie wieder an das Malheur mit ihrer Heizung, als das Telefon klingelte.

    „Ja, ich bin’s, Tom. Baumann ist gerade weg, er meint, wir brauchen einen neuen Heizkessel. Wird einiges kosten.“
    „Wie viel“, fragte die Kommissarin, die ihren Traum vom Skiurlaub mit der ganzen Familie im gleichen Augenblick gefährdet sah.
    „Kommt drauf an, lass uns nachher darüber reden. Ich habe für die Küche und das Bad zwei Heizstrahler besorgt, den Rest wird der Ofen übernehmen müssen.“
    Anna knipste die Schreibtischleuchte aus und fing an, ihre Tasche zu packen.
    Elsa und ihre Mutter an einem Winternachmittag in Maschen, im November 1978.
    Vera Hollstein betrachtete ihre Tochter Elsa, die tief über den Küchentisch gebeugt mit ihren Buntstiften auf einer ausgedienten Zeitung
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