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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind
Autoren: C Westendorf
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Er war eigentlich keiner, der mit Kellnerinnen und Handwerkern die Bank gedrückt haben konnte. Zu ihm passte ein Lebenslauf mit entsprechenden Internaten in der Schweiz, nicht dieses Nest. Und doch war Rainer Herold genau hier aufgewachsen.
    Elfi, die Kellnerin, hatte gerade sein Glas vor ihn hingestellt, und Rainer nahm den ersten großen Schluck. Mit dem nächsten Zug leerte er es gierig. Er hatte sich keine Zeit gelassen, wirklich etwas zu schmecken. Er wusste, dass es gut war. Zufrieden wischte er sich mit dem Handrücken den Schaum vom Mund und begann, sich wirklich zu Hause zu fühlen. Das war eines der wenigen Dinge, die er in den Staaten ernsthaft vermisste; ein ehrliches Bier. Mochte es in Deutschland auch stickig zugehen, hier verstanden sie etwas davon. Er spürte, wie der Alkohol in seinem Körper zu wirken begann und sich jene wohlige Wärme ausbreitete, die er so angenehm fand.
    Träge ließ er den Blick durch die Gaststube schweifen. In einer Ecke, ganz in der Nähe des Eingangs, saßen ein Mann und eine Frau um die siebzig und schwiegen sich an. Die beiden warteten auf ihr Essen, das offensichtlich schon lange auf sich warten ließ. Der Gesprächsstoff war ihnen ausgegangen, und so konnten sie nichts weiter tun, als einander zu ignorieren.
    Rechts von ihm hatte es sich eine Familie gemütlich gemacht. Mutter, Vater und zwei Kinder, ein Mädchen und ein Junge, so um die zehn, elf Jahre alt. Die Frau hatte, obwohl sie vielleicht gerade einmal dreißig war, bereits die Matronenhaftigkeit älterer Tanten an sich, was durch die fleischige Form ihres Körpers und die nachlässige Kleidung mit den schief abgelaufenen Absätzen unter ihren Schuhen noch unterstrichen wurde. Zusätzlich fingen die Kinder jetzt auch noch an, miteinander zu streiten, und Rainer warf dem Mann einen mitleidigen Blick zu.
    Der Stammtisch neben dem Tresen war verwaist, wahrscheinlich fand im Nachbarort gerade eine Sitzung des Taubenzüchtervereins statt. Lächerlich, der verschnörkelteAschenbecher unter diesem massiven Metallgestell. In seiner Mitte baumelte eine Messingglocke, darüber hing ein weiß emailliertes Schild. In großen schwarzen Buchstaben warnte es den unbedarften Gast davor, sich hier einfach so niederzulassen. Und dann Alfred, der Wirt. Ein blasser Mann, der zu geifern anfing, sobald sich ein fremder Rock in sein Revier verirrte. Ob er wohl noch mit Marion verheiratet war? Wenn ja, hatten die beiden heute wahrscheinlich gemeinsame Kinder, mindestens fünf an der Zahl. Rainer konnte Alfreds Gören vor sich sehen, entsprechend ihrer Größe hintereinander aufgereiht wie die Orgelpfeifen, alle mit dem gleichen blassen Gesicht und dem fliehenden Kinn des Vaters wie wahrscheinlich auch der Dummheit ihrer Mutter ausgestattet. Und der älteste Sohn würde irgendwann den Gasthof übernehmen. Genau, wie Alfred es getan hatte. Die anderen Jungen würden ein Handwerk erlernen müssen. Dann könnten sie später, mit etwas Glück, in eine Klempnerei einheiraten oder in die Familie eines Fleischermeisters. Mit den Töchtern aber würde Alfred noch seine wahre Not haben und die eine oder andere Kuh verschenken müssen, damit sich ihrer einer erbarmte. Wenn doch nur endlich das Essen käme.
    Rainer starrte aus dem Fenster, als die Eingangstür geöffnet wurde und zusammen mit der Kälte und Nässe des trüben Novemberabends eine Frau hereinkam, die ihm den Atem raubte. Sie war schön. Zögernd durchquerte sie die Gaststube und setzte sich auf einen Barhocker an den Tresen.
    Von seinem Stuhl aus konnte er gerade noch die Konturen ihres ausdrucksvollen Gesichtes sehen. Dazu dieses sympathische Lächeln, das Alfred traf, als sie bestellte. Schlagartig war jegliche Müdigkeit aus seinem Körpergewichen. Fasziniert beobachtete Rainer die Fremde, die ebenso wenig hierher passte wie er. Sein Essen, das Elfi gerade vor ihn hinstellte, interessierte ihn nicht mehr. Fast hätte er sogar vergessen, noch ein zweites Bier zu bestellen. Er schlang den köstlichen Braten, die Kartoffeln und die Soße hinunter, ohne etwas zu schmecken. Den Rotkohl ließ er gänzlich unberührt. Jetzt hatte er nur noch ein Ziel – so schnell wie möglich fertig zu werden, um danach zu versuchen, die fremde Schönheit kennen zu lernen. Sollten ihr Rainers gierige Blicke aufgefallen sein, schließlich hatte er die ganze Zeit zu ihr hinübergestarrt, so schien sie nicht unangenehm davon berührt zu sein. Vielleicht hatte er ja Chancen bei ihr.
    Die Kellnerin
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