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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind
Autoren: C Westendorf
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von Bäumen, deren mächtige Kronen im Wind wogten und in ihr ein tiefes Gefühl von Geborgenheit auslösten.

2
    „Es gibt Arbeit, Kollegin Greve, am ZOB ist ein Toter gefunden worden.“
    Anna, die gerade dabei gewesen war, ihren Mantel auszuziehen, knöpfte ihn gleich wieder zu, dann ging sie zusammen mit Weber über den Behördenparkplatz zu ihrem Dienstwagen.
    Weber grinste.
    „Soll ziemlich schlimm aussehen, ich hoffe, Sie haben schon gefrühstückt.“
    Sie hielt inne und schaute ihrem Kollegen irritiert hinterher.
    Anna sah den Toten auf dem Grün vor dem Kurt-Schuhmacher-Haus liegen und erinnerte sich. Dieser Platz war einst Schauplatz der harten Kämpfe der Arbeiterbewegung in Hamburg gewesen. Hier war schon früher einmal Blut geflossen, nicht erst gestern.
    Ein paar Jugendliche waren im Morgengrauen auf ihrem Weg nach Hause über den Mann gestolpert. Zuerst hatten sie geglaubt, dass hier ein Penner seinen Rausch ausschlafen würde. Bis sie genauer hingesehen und dann panisch das Weite gesucht hatten. Nur weg, fort von dem Toten und der Rasenfläche, die sich um ihn herum bräunlich rot verfärbt hatte.

    Anna streifte das Paar Handschuhe über, das ihr Huber, der neue Assistent von Dr. Severin, gerade gegeben hatte, und kletterte über die Absperrung, Lukas Weber immer einen Schritt hinter sich.
    Der Mann lag auf dem Rücken, an seiner Halsschlagader klaffte ein tiefer, horizontaler Schnitt. Sein Körper war fast vollständig ausgeblutet, gerade so, als hätte ein muslimischer Metzger ein Tier geschächtet. Er konnte nicht lange gelitten haben. Seine toten Augen waren weit geöffnet, und Anna sah in ihnen so etwas wie eine unbeantwortete Frage stehen. Seine rechte Gesichtshälfte wies mehrere Schnittverletzungen auf, die seine Wange entstellten und in ihrer Anordnung an einen blutigen Stern erinnerten. Ob ihm diese Wunden nach seinem Tod zugefügt oder noch bei lebendigem Leib beigebracht worden waren, während er sich heftig gegen seinen Angreifer gewehrt hatte, würde die Rechtsmedizin klären müssen. Sie standen auf dem von Blut getränkten Rasen, und Anna hatte die Assoziation einer großen Schlacht. Sie fror.
    Ein paar Meter vom Fundort entfernt, auf einer Bank an der Bushaltestelle, lag eine zusammengefaltete Zeitung. Anna kannte deren Logo, es handelte sich um ein Wochenblatt aus ihrem Landkreis Harburg, das kostenlos an alle Haushalte verteilt wurde. Ein Kollege der Spurensicherung hob die Zeitung nun vorsichtig auf und steckte sie in einen Beutel, den er anschließend beschriftete. Weber ging zum Chef der Spurensicherung hinüber. Zuerst scherzte er mit dem Mann herum, dann ließ er sich die bisher gesicherten Spuren zeigen. Er war unangemessen gut gelaunt an diesem frühen Morgen.
    Während sie hinter Weber her zum Wagen trottete, hatte Anna einen Augenblick für sich. Zeit, ihren Kollegen unbemerktzu beobachten. Alles war wie immer. Weber zog die Schultern nach vorn, während er hastig einen Schritt vor den anderen setzte. Sein Gang war krumm wie eh und je, aber wenigstens hatte er sich endlich einen vernünftigen Haarschnitt verpassen lassen. Seine dünnen Fransen waren stumpf abgeschnitten und in Form gebracht worden. Die neue Frisur machte ihn zwar nicht unbedingt attraktiver, doch zumindest hingen ihm seine straßenköterfarbenen Strähnen nun nicht mehr bei jeder Bewegung ins Gesicht. Als hätte er ihre Gedanken erraten, drehte er sich zu ihr um und grinste schon wieder. Hatte er etwa den Jackpot geknackt und war deshalb so unverschämt fröhlich? Nein, denn dann wäre er bestimmt schon lange damit herausgerückt. Ratlos fragte sich Anna, was sonst noch der Grund für seine heitere Stimmung sein konnte.
    Als Anna und Weber ins Präsidium zurückgekehrt waren, waren sie auf dem Flur vor ihrem Büro von Antonia Schenkenberg, ihrer Sekretärin, abgefangen worden.
    „Haben Sie schon gehört? Der Chef ist zurückgetreten.“
    „Was, Sibelius?“
    Günther Sibelius war der Leiter ihrer Abteilung und ihr direkter Vorgesetzter. Nachdem er den Posten erst vergangenen Sommer übernommen hatte und sowohl Anna als auch Weber ihrem vorangegangenen Chef keine Träne nachweinten, hoffte Anna inständig, dass sich hinter dieser Nachricht nicht etwa Günther Sibelius’ Rücktritt verbarg.
    „Nein, es geht um Hermann Meyer, den Chef des LKA.“
    „Haben Sie etwas über seine Gründe erfahren“, fragte
    Weber nach.
    Antonia Schenkenberg zuckte die Schultern. Dann murmelte sie: „Wird wohl mit den
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