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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
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auf meine Werke, ihr Mächtigen, und verzweifelt!«
     
    Sie waren vom Tatort eines Mordes geflüchtet, waren tatsächlich auf der Flucht. Gloria brach Regeln, wenn auch nicht ihre eigenen. Sie hatte den Plastiksack mit dem Geld und den Memorystick geholt, aber ansonsten machten sie sich nur mit dem, was sie auf dem Leib trugen, vom Acker. Tatiana hatte telefoniert, und ein großer schwarzer Wagen war vor der Hintertür vorgefahren, und sie stiegen ein. Wenn Gloria sich nicht irrte, war es derselbe Wagen, der Tatiana nach Grahams Herzinfarkt vor dem Krankenhaus abgeholt hatte. Der Chauffeur sagte während der ganzen Fahrt kein Wort, und Gloria fragte nicht, wem der schwarze Wagen gehörte. Große schwarze Autos mit schwarzen Fenstern gehörten in der Regel bösen Menschen. Bösen Menschen wie Graham.
    Sie fuhren Richtung Süden, zum Flughafen, doch Gloria bat um einen »kleinen Umweg«.
    »Warum?«, fragte Tatiana.
    »Geschäfte«, sagte Gloria, als der Fahrer stumm ihrer Anweisung folgte und von der Hauptstraße in eine Siedlung abbog. »Ein kleines, noch nicht zu Ende gebrachtes Geschäft.«
    »Glencrest Way«, sagte Tatiana, die das Straßenschild las. Auf Glencrest Way folgte Glencrest Close, Glencrest Avenue, Glencrest Road, Glencrest Gardens und Glencrest Wynd. Tatiana las alle diese Namen laut vor, wie ein exotischer Ersatz für das Navigationssystem des schwarzen Wagens, das in der verblüffenden Komplexität des Straßensystems den Dienst verweigerte. Über der Siedlung lag der Nebel von Grahams Anwesenheit, die Wolke des Wissens, und schirmte sie ab.
    »Die Glencrest-Siedlung«, sagte Gloria überflüssigerweise, als der schwarze Wagen hielt. »Reelle Häuser für reelle Menschen. Gebaut auf einer alten Kohlengrube.« Sie nahm den schwarzen Müllsack, der dreiundsiebzigtausendfünfhundert Pfund in Zwanzig-Pfund-Scheinen enthielt.
    Tatiana lehnte am Wagen und rauchte, während Gloria den schwarzen Plastiksack von Haus zu Haus schleppte und Geldbündel auf die Türschwellen legte. Nicht genug für alle, aber das Leben war eine Lotterie.
    »Ist Tragödie«, sagte Tatiana und schüttelte den Kopf. »Sie sind verrückte Person, Gloria.«
    Sie stiegen wieder in den schwarzen Wagen und fuhren davon. Die Geldbündel waren nicht zusammengebunden, und der Abendwind ergriff sie und wehte die Scheine herum wie riesige Flocken Asche. Im Rückspiegel sah Gloria, wie jemand aus einem schäbigen Hatter-Haus – Modell Braecroft – trat und verwundert das durch die Luft flatternde Geld betrachtete.
    Gefürchtet von den Bösen, geliebt von den Guten. Sie waren Banditenköniginnen, sie waren Räubermädchen. Sie waren Gesetzlose.

51
    S chwarzer Raum. Weißes Licht. Applaus.
    In Jacksons Ohren klang der Applaus ziemlich kräftig, aber abgesehen von ein paar Kritikern, bestand das Publikum vor allem aus Freunden, Familie und Anhang. Für Julia repräsentierte er heute Abend das alles, und er hatte es geschafft, die gesamte Aufführung zu verpassen. Er schlüpfte gerade noch durch eine Tür, um zu sehen, wie die Schauspieler sich verneigten. Jackson wusste, dass Mord und Körperverletzung als Gründe, Julias Stück zu versäumen, nicht gut genug waren. Vielleicht hätte er doch mit Blut besudelt kommen sollen.
    Die ganze Besetzung war anschließend in der Bar so erleichtert wie eine aufgedrehte Kindergartengruppe. Tobias vergewisserte sich, dass alle Champagner hatten, und hielt dann eine extravagante Lobrede, bei der Jackson nach der Hälfte abschaltete. »Auf uns!«, riefen sie, erhoben die Gläser und stießen an.
    Julia hakte sich bei ihm unter und legte den Kopf an seine Schulter.
    »Wie war es?«, fragte er und spürte, dass sie leicht zusammensackte.
    »Ziemlich schrecklich«, sagte sie. »Ganze Teile der Szene auf dem Eisberg haben gefehlt, und dieser dumme Junge hat mir immer die falschen Stichwörter gegeben.«
    »Scott Marshall? Dein
Liebhaber?«
    Julia zog ihren Arm aus seinem.
    »Aber du warst trotzdem großartig«, sagte er und wünschte, er wäre ein besserer Schauspieler. »Du warst wirklich toll.«
    Julia leerte ihr Glas Champagner auf einen Zug. »Und als der Platzanweiser durch den Gang ging und fragte, ob ein Arzt da ist – ich meine, der Mann, der den Herzinfarkt hatte, hat mir wirklich leidgetan, aber dann weiterzumachen, als wäre nichts geschehen …«
    »So etwas passiert nun mal«, sagte Jackson beruhigend.
    »Ja, ich weiß, aber
nicht in der Aufführung heute Abend
, Jackson«, fuhr sie ihn an.
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