Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
sie heulte sich die Augen aus. Was immer seine Mutter war, sie war hart. Er hatte es gehasst, als sie weinte.
    Er hatte versucht, es leichter für sie zu machen, er hatte überlegt, was sie getan hätte, wäre sie da gewesen. Kerzen und Musik, nahezu religiös. Er wickelte den Kater in einen ihrer Pullover und nahm ihn in den Arm. Der Kater starb in seinen Armen. Er sah dabei zu. In einem Moment lebte er, im nächsten war er tot, übergangslos. Eines Tages würde das mit seiner Mutter passieren. Seine Familie war zu klein, nur er selbst, seine Mutter und die alte Katze, mehr waren sie nicht, und jetzt war die Katze tot. Hamish hatte zwei Schwestern, einen Vater, Großväter, Großmütter, Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen, er hatte mehr Verwandte, als er brauchte. Archie hatte nur seine Mutter. Wenn ihr etwas zustieße, wäre er allein.
    Er hatte geweint, als die Katze starb, alles in ihm fühlte sich plötzlich zu groß an, als wollte es hervorbrechen. Seine Mutter kam und umarmte ihn, und er wollte wieder ein Baby sein, und sie weinten zusammen. Sie weinte um den Kater, und er weinte, weil er nie wieder ein Baby sein konnte. Dann machte er ihr eine Tasse Tee, ging Pommes kaufen, und sie sahen fern, und es war nett gewesen, obwohl der Kater tot und seine Mutter deswegen so unglücklich war. Sie sagte: »Wir lassen ihn verbrennen, der Tierarzt hat mir ein Faltblatt gegeben. Man kann so ein kleines Holzkistchen kaufen und sein Foto draufmachen, eine kleine Messingplakette mit seinem Namen, und dann stellen wir es auf den Kaminsims.« Ihre eigene Mutter stand vernachlässigt im Regal in der Garage. Das war doch
pure Ironie
. Sie waren sich so
nahe
gewesen, dass er ihr beinahe alles gestanden hätte. Die Diebstähle, den Fund von Martin Cannings Brieftasche in Cowgate (sie hatten sie nicht
gestohlen,
der Mann musste sie verloren haben), in der Brieftasche fanden sie die Adresse des Büros, sie brachen in das Büro ein (zum Spaß, und es war ein Spaß gewesen). Hamish konnte Schlösser öffnen wie ein Meisterdieb. Sein Lebensziel war es, die Bank seines Vaters auszurauben. Hamish hasste seinen Vater auf eine Weise, die Archie Angst einjagte. Aber dann überlegte Archie es sich anders, weil er seine Mutter nicht noch mehr Kummer machen wollte, wo sie schon so bedrückt war. Ein anderes Mal.
    Seine Mutter legte den Arm um seine Schultern und sagte: »Ist schon in Ordnung.« Und das war es, fürs Erste. Er aß den Rest ihrer Pommes auf und ließ sich von ihr übers Haar streicheln, doch dann klingelte ihr Telefon, und sie seufzte. »Tut mir leid, das war die Einsatzzentrale. Ich muss weg, ein Zwischenfall.« Und sie ließ ihn allein. Mit der toten Katze. Andere Mütter taten so etwas nicht.
    Er hörte, wie sie aus der Garage fuhr, und er schaute aus dem Fenster, um ihr nachzusehen. Langsam schwebte ein Zwanzig-Pfund-Schein vorbei wie ein kleiner fliegender Teppich.
     
    »Scheiße, Archie, Polizei!«, brüllte Hamish ihn an, stieß ihn von hinten, so dass er mit den Armen rudern musste, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren und aufs Gesicht zu fallen. Hamish war weg, rannte die George Street entlang, überließ Archie seinem Schicksal. Er drehte sich um und sah zwei stämmige Polizisten auf sich zukommen. Er versuchte nicht einmal davonzulaufen. Er ging seinem Schicksal entgegen. Es war der Augenblick, auf den er seit Monaten zusteuerte. Er war vor allem erleichtert.

53
    N ina Riley kletterte, eine Hand über die andere, wie eine bewegliche Spinne das rostrote Netz des Gitterwerks an der Forth Bridge hoch, bis sie sich endlich schweißgebadet auf die Gleise hochziehen konnte. Sie hatte keine Ahnung, wo Bertie war. Vielleicht war er in die grauen Wasser zu Tode gestürzt. Sein Schicksal ließ sie bemerkenswert kalt. Er war ein so langweiliger Kerl gewesen, so servil.
(Miss Nina, Sie sind Spitze, wirklich.)
Er brauchte eine kräftige Dosis Sozialismus oder einen kräftigen Tritt in den Hintern.
    Sie blickte die Gleise entlang, kein Zug weit und breit. Keine Spur des Grafen von Morybory oder wie immer er hieß, ihr sogenannter Erzfeind. Keine Spur der Zirkusclowns, die sie seit Tagen verfolgten. Ein leiser Schrei riss sie aus ihren Gedanken. Es klang wie Bertie. Rief er um Hilfe? Sie horchte konzentriert. Ein schwaches
Helfen Sie mir, Miss Riley
schwebte auf einer steifen Meeresbrise zu ihr. Sie ignorierte es. Dann ein weit entferntes ratterndes Geräusch. Ein Zug. Es war Zeit. Sie legte sich auf die Schienen,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher