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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
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vorsah, sie wisperte in der Kapelle mit geschlossenen Augen, und plötzlich riß sie die Augen auf
     und fiel zur Seite auf den Boden.
     
    Erst töten, dann bewundern, sagte sie.
    Wer bewundert, und wer tötet? sagte ich.
    Die Auserwählten werden erst angefeindet. Man schlägt sie ans Kreuz, man steinigt sie oder begräbt sie bei lebendigem Leibe.
     Dann vergeht ein Jahrhundert. Es entstehen Gerüchte, die sich zur Legende verdichten. Und am Ende stehen die Menschen Schlange
     und flehen die Erschlagenen um eine Fürbitte an.
    Bei der seltsamen Heiligen ist es anders, sagte ich.
    Das liegt an der Heiligenknappheit, sagte sie.
    Hat sie dich beeindruckt oder nicht?
    Ich bin mir bei ihr nicht so sicher.
    Der Wirt eilte auf ein Handzeichen von mir herbei, ich bat ihn um eine Kopfschmerztablette, und er griff einfach in seine
     Hosentasche, forderte mich auf, die rechte Hand nach außen zu wenden, er drückte aus der Plastikrippe eine Tablette heraus,
     sie wäre eigentlich dafür gedacht, Männer mit gelegentlichen manischen Schüben ruhigzustellen, er hätte Gäste, die sie dreimal
     am Tag einnehmen würden, um ihre Depressionen schockgefrieren zu können, man nannte ihn auch den Wirt mit der Wundermedizin,
     sein Künstlername hätte ihm aber auch einigen Ärger eingebracht, die Polizei wäre vorbeigekommen, um nach dem Rechten zu sehen.
     Ich bedankte mich bei ihm, schluckte die Tablette herunter und versuchte, Tyra nicht anzusehen. Sie hatte |371| es mir verboten, sie wollte auch nicht über ihre Ohnmacht reden, kaum daß sie die Augen geöffnet hatte, entriß sie sich meiner
     halben Umarmung, stieß mich beiseite und rannte aus der Kirche heraus, ich fand sie im Kaffeehaus gegenüber, sie hatte die
     Beine übereinandergeschlagen und massierte sich das Knie, und als ich näher kam rief sie mir zu, ich sollte sie nicht mit
     meinen Blicken belästigen, und die vom Bier halbbetrunkenen Männer drehten sich sofort um und starrten mich finster an.
    Die Mißverständnisse waren jetzt ausgeräumt, Tyra sprach dann doch von einem kurzen Ausfall ihres Bewußtseins, sie ließ es
     aber dabei bewenden, und ich, der Idiot an der Peripherie ihres neuen Glaubens, verhielt mich so, wie es sich für einen Mann
     mit Manieren gehörte, die Tablette fing an zu wirken, und es stellte sich ein Gefühl ein, als wäre ich aus einem traumlosen
     Zehnstundenschlaf aufgewacht, kleine Lichtpunkte schwebten am Rande meines Sehfelds, ich ließ mein Mobiltelefon in der Tasche
     lange klingeln, und das war wieder ein Grund für die halbbetrunkenen Männer an den Tischen, mir böse Blicke zuzuwerfen. Wir
     nahmen ein Taxi und ließen uns am Schwarzenbergplatz absetzen, Tyra wollte ein Stück gehen, also liefen wir die Prinz-Eugen-Straße
     hoch, sie war still sie blieb stumm sie sprach kein einziges Wort, ich faßte mich an die Stirn, die Hitze und der Lärm der
     vorbeifahrenden Autos trieben mich fast in den Wahnsinn, und daß Tyra jedesmal, wenn ich aufschloß, schneller schritt, um
     mich nicht an ihrer Seite zu haben, machte mich wütend, die Seiteneingänge zum Belvedere-Prunkgarten waren verschlossen, also
     liefen wir weiter und weiter, sie blieb stumm sie sprach kein einziges Wort sie schwieg hartnäckig, und ich verfluchte mich,
     weil ich es versäumt hatte, Trinkwasser zu besorgen, mein Hemdkragen war schweißnaß, die Lichtpunkte |372| verschmolzen zu einem gleißend hellen Band, ich konnte nur geradeaus sehen, die davoneilende Tyra mit steifem Rocksaum, ihre
     glänzenden nackten Schultern, ihre schweißfeuchten Kniekehlen, und wir liefen weiter und weiter, bis wir endlich den Eingang
     zum Oberen Belvedere fanden, vor dem Schloß drängten sich die Touristen, Tyra zog sich in den Schatten zurück, um zu Atem
     zu kommen, und ich achtete darauf, ihr nicht zu nahe zu treten, trotzdem bedeutete sie mir mit einer deutlichen Geste, den
     Abstand zu wahren. Mein Blick glitt über die trockenen Stufen der Oberen Kaskade, das Wasser war abgestellt, und weit hinten
     sah ich die signalroten Absperrgitter, die den unteren Bereich des Parks für Besucher unzugänglich machten, ich folgte Tyra,
     die auf den Spazierpfad zur Rechten auswich, und als ich auf der Höhe des Heckengartens schweratmend aufschloß, drehte sie
     sich um und ließ erst eine Gruppe von Touristen an uns vorbeiziehen.
    Das war’s, sagte sie, hier hört es auf.
    Was hört auf? sagte ich.
    Deine Liebe, sie endet hier.
    Wieso?
    Wieso hier in diesem Park?
    Der Wirt
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