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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Hosentaschen, sie
     setzte vorsichtig die Öffnung einer Plastikflasche an meine Unterlippe, erst rann das Wasser an meinen Mundwinkeln herunter
     in den Nacken, dann trank ich es Schluck für Schluck, und während ich trank, heftete ich meinen Blick auf den silbernen Ring,
     den sie an ihrem langen rechten Zeigefinger trug: Auf dem Ringkopf lag ein hellblaues Emaillemedaillon, die Ringschultern
     zierten bunte Glassteine in gezahnten Fassungen.
    Ich mußte in einen Sekundenschlaf gefallen sein, ich wurde von ihrem Rütteln wach, Beine mit Soldatenstiefeln zogen an mir
     vorbei, dann Beine mit Straßenschuhen, blaue Lichter gingen an und aus, ich sah flappende weiße Kittelschöße, und ein Arzt
     fragte mich, ob ich ihn hören und verstehen könne, ich wollte nicken, ich konnte |8| nicht. Ja, sagte ich, wo ist die Frau, die mich Wasser trinken ließ? Hier, sagte sie, der Arzt kann Sie nicht verstehen, er
     spricht kein Deutsch. In meiner Jackentasche ist ein Tuch, sagte ich, können Sie mir den Schweiß vom Gesicht wischen?
    Das ist kein Schweiß, das ist Blut, sagte sie und schlug sich auf den Mund, der Ring klackte gegen ihre Zähne, sie stieß einen
     kurzen Schmerzenslaut aus, ihr Lippenstift hatte auf ihren Schneidezahn abgefärbt. Sie tränkte das Taschentuch mit Wasser
     und wischte mir in sanften Strichen das Blut aus der Stirn, aus den Augenbrauen, von den Wangen, und während sie mich versorgte,
     musterte ich sie. Sie steckte in einem konservativen Kostüm, die Haarspange hatte sich gelöst und hing an einer blonden Strähne,
     sie kümmerte sich nicht darum, auch nicht um die im Brandqualm stehenden Schaulustigen, ich hob das Kinn, um besser sehen
     zu können, der Verkehr war auf der dreispurigen Autobahn zum Erliegen gekommen, auch auf der Gegenfahrbahn hielten die Fahrer
     an, stiegen aus ihren Wagen und rannten mit Handfeuerlöschern herbei.
    Sie sind unterwegs zu einer Feier, sagte ich, Sie sind festlich angezogen. Und Sie delirieren im Fieber, sagte sie ungehalten,
     im Schein des rotierenden Blaulichts konnte ich erkennen, daß sie gegen ihre aufkommende Wut ankämpfte, sie blickte in Richtung
     von Menschen, die von einer Unruhe erfaßt wurden, ein spitzer Schrei ließ mich zusammenzucken, eine Tochter beweinte ihre
     Mutter, deren lebloser Körper auf einer Trage weggebracht wurde, und im Nu war die junge Frau von Frauen umgeben, sie strichen
     ihr übers Haar und sprachen ihr Trost zu, eine Schaulustige gab ihr seltsamerweise den Rat, sich in die Hinterbacke zu kneifen,
     sie würde schlagartig nüchtern werden.
    Ihr Hemd ist völlig zerfetzt, sagte die Deutsche, Sie |9| haben einige kleine Wunden, aber machen Sie sich keine Sorgen, Sie haben es überlebt.
    Wieso sind Sie hier? sagte ich, sind Sie auf der Durchreise?
    So kann man es nennen, sagte sie und richtete sich wieder auf, ich muß jetzt weiter, und ohne ein Wort verließ sie mich, ich
     stützte mich auf, griff nach der Haarspange, die dann doch abgefallen war, ich sah ihr nach, sie hatte Erste Hilfe geleistet,
     ich hatte aus ihrer Wasserflasche getrunken, und was gab es für sie noch an dem Unfallort zu tun, die Toten waren tot und
     wurden geborgen, um die Verletzten kümmerten sich die Ärzte, ich sah ihr nach, bis sie an einem Kombiwagen stehenblieb, den
     sie auf dem Seitenstreifen abgestellt hatte, sie stieg kurzerhand ein, und bevor sie aus meinem Blickfeld verschwand, konnte
     ich gerade noch die ersten Ziffern des Kennzeichens lesen – NI, ich sagte die Buchstaben laut auf, immer wieder, vielleicht
     hoffte ich, daß sie wie eine Zauberformel wirkten und das Dröhnen in meinen Ohren verklang.
    Jetzt lag ich allein auf dem Boden, ich stand langsam auf, für den ersten Bericht waren die Reporter zur Stelle, und sie schossen
     ein Foto nach dem anderen, meine Beine gaben nach, doch bevor ich zu Boden ging, hielt mich ein Gendarm fest, er legte meinen
     linken Arm um seine Schultern, fast wäre ihm der Helm vom Kopf gefallen.
    Ruhig, Bruder, sagte er, ich bringe dich zum Doktor, und er wird dich heilmachen, ich blieb stumm, er glaubte, er müßte mich
     wachhalten, also erzählte er mir von seiner nichtsnutzigen Schwester, die trotz der Ermahnungen ihrer drei Geschwister, ihrer
     Eltern und überhaupt fast der ganzen Verwandtschaft in die große Stadt gezogen sei, was hätte er ihr nicht ins Gewissen geredet,
     die Wölfe streifen am hellichten Tag dort herum, hätte |10| er gesagt, und junge Mädchen aus dem Dorf würden sich,
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