Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
verkohlte
     Leichen, Ihr Name steht nicht auf der Todesliste.
    Es hat also einige von uns erwischt, stellte ich fest.
    Gut ein Dutzend, das hat mir der Herr Offizier verraten, sagte sie, aber wehe, Sie berufen sich auf mich. Tun Sie es doch,
     wird niemand Ihnen Glauben schenken, Sie stehen unter Schock, und später werden Sie sich an mich nicht erinnern können, das
     müssen Sie sich vornehmen.
    Ich ging auf ihre Drohung nicht ein, mir tat das Fleisch weh, mir schmerzten die Knochen, es hätte mir nichts eingebracht,
     wenn ich ihr verraten hätte, daß ich kein Gesicht vergaß, in das ich geschaut hatte, manchmal war es ein Fluch, denn in meinen
     Alpträumen blickte ich in blutlose Gesichter und in Augen mit großen Pupillen. Die Ärztin forderte mich auf, in den Krankenwagen
     zu steigen, ich stahl mich mit eingezogenem Kopf hinein, klappte einen schmalen Sitz herunter, und als ich sicher saß und
     die Schiebetür zugezogen |13| wurde, fielen mir die beiden Frauen und der Mann auf, die vor sich hin stierten, sie hatten sich, genauso wie ich, leichte
     Verletzungen zugezogen, viele kleine Wunden, die schon verheilen würden. Ich wünschte ihnen aus einem Impuls heraus eine gute
     Fahrt, und sie schauten mich böse an – glaubten sie wirklich, ich wäre, kurz nach dem Unfall, zum Scherzen aufgelegt? Es machte
     mir nichts aus, daß ich mich im Seitenfenster spiegelte, ich starrte hinaus auf die vorbeiziehende Landschaft, ödes Brachland,
     unterbrochen von Fabriken, aus deren Schloten schwarzgrauer Rauch herausquoll, ich sah zwei Bauern am Straßenrand hocken,
     sie hatten ihre Schiebermützen nach der guten Sitte in den Nacken geschoben, ihre Strickwesten zugeknöpft, es waren Tagelöhner
     kurz vor dem Antritt der Knochenarbeit. In der Ferne konnte ich die Vororte der Großstadt ausmachen, von deren Bürgermeister
     es hieß, daß er einem ungeratenen Kind glich, das unter dem Eßtisch an den Zehen der Gäste zieht, er strafte die Bürger dafür,
     daß sie ihn mit überwältigender Mehrheit gewählt hatten. Ich dachte an das Abenteuerbuch in meinem Koffer, ich dachte an meinen
     Ausweis und meine Kreditkarten in meiner Börse, ich dachte daran, daß man mich seltsamerweise nicht gefragt hatte, ob man
     meine Verwandten benachrichtigen sollte. Ich hatte keine Frau und keine Kinder – sah man es mir an?
    Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie mich die ältere der beiden Frauen musterte, ihre linke Gesichtshälfte war von einem
     Stoß oder Schlag geschwollen, sie funkelte mich mit ihrem gesunden rechten Auge an.
    Wo haben Sie gesessen? sagte sie und sorgte mit einem Blick in die Runde für Aufmerksamkeit.
    In der Mitte, sagte ich, ich hatte den Platz am Gang, gleich gegenüber dem Einstiegstrittbrett.
    |14| Der Fensterplatz war also frei, rief die Frau triumphierend aus, wußte ich’s doch!
    Was wußten Sie?
    Sie gehören zu der Sorte Mensch, die zwei Sitzplätze bucht, sagte sie, damit stellen Sie sicher, daß Ihnen kein Nebenmann
     die Luft zum Atmen nimmt.
    Wäre ich reich, würde ich trotzdem nur einen Sitzplatz reservieren, sagte ich.
    Das sagt ausgerechnet der Erste-Klasse-Mann, schrie die Frau, und auch wenn ihre Tochter sie bat, Ruhe zu geben und mich in
     Ruhe zu lassen, war die Frau nicht zu besänftigen, sie warf mir vor, jenen Platz blockiert zu haben, auf den sie sich vielleicht
     hätte setzen können, es wäre ganz sicher nicht zu spät, um mir wegen meines schlechten Charakters Vorhaltungen zu machen,
     ich könnte ja vor allen Leuten nicht zugeben, daß ich böse gehandelt hätte. Erst als die Ärztin mit den Worten intervenierte,
     eine große Beruhigungsspritze läge bereit, sie würden jeden und jede damit zur Besinnung bringen, da verstummte die Frau und
     ließ sich von ihrer vor Scham angelaufenen Tochter die Oberarme massieren. Jetzt ein zweiter Unfall, und die Sache ist erledigt,
     dachte ich und zog die Decke fester um meinen Oberkörper, ich hatte genug erlebt und gesehen, ich war ein mit dem Vorgang
     Vertrauter, so hätte es ein Freund ausgedrückt, doch er war weit weg in Deutschland … ich faßte an die Hosentasche und befühlte
     die Ausbeulung, Gott sei Dank, mein Handy war nicht verlorengegangen. Eine Weile spielte ich mit dem Gedanken, den Freund
     anzurufen, aber nein, ich hätte mit ihm Deutsch gesprochen, ich empfand nicht die geringste Lust auf eine weitere Komplikation,
     solange ich mich in Gegenwart der ungehaltenen Frau aufhielt, war ich ungeschützt. Unsere Fahrt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher