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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
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haben sie mit einem doppelten Fußknöchelbruch eingeliefert, der heißt Herr Knöchel … was
     ist mit dir?
    Eine tiefe Wunde am Rücken, ein paar gebrochene Rippen, sagte ich.
    Du wirst einige Tage hierbleiben. Such dir lieber selber einen Namen aus, dann wird man es mit dir gut meinen.
    Rippe, sagte ich.
    Rippe paßt, sagte er, und jetzt einen schönen Schlaf.
     
    Ich konnte mich betten, wie ich wollte, ein Spieß steckte in meiner Flanke und ließ mich bei jeder Bewegung jäh innehalten,
     ich zog die Decke über meinen Kopf, ertrug aber die Dunkelheit nicht, irgendein Greis sprach zischend und tuschelnd ein Gebet
     und bat den gerechten Gott um ein klein bißchen Gesundheit für seinen Sohn, den es unverschuldet getroffen hatte … Schöne
     Worte, dachte ich, wir Siechen und Versehrten sind in diesem Krankensaal, weil die Vorsehung oder der Teufel uns mit der großen
     Kelle aus dem Kessel geschöpft hat, wir bedauern doch nur, daß wir nicht daran glauben mögen, daß Fehlschläge uns befeuern.
     Doch wer war ich schon, ich durfte an der Wirkung der Gebete frommer alter Männer zweifeln, ich konnte mich dagegen sperren,
     eine Gefälligkeit vom Himmel einzufordern – im Grunde meines Herzens wußte ich es besser. Kein Mensch stand an meinem Bett
     und hielt mir die Hand. Verdammt sollte ich sein, der Anfall von Selbstmitleid beschämte mich, ich hatte diese Busfahrt angetreten,
     um einen Familienstreit zu schlichten, meine Tante hatte, ganz gegen ihre Gepflogenheiten, eine schlichte Bitte geäußert,
     die Bitte, ihren wildgewordenen Stiefsohn zur Vernunft zu bringen, der wenige Monate nach dem Tod seines Vaters gegen die
     Tür meiner |21| Tante gehämmert hatte und schließlich von ihr eingelassen worden war. Er kam gleich zur Sache, forderte seinen Anteil an der
     Wohnung, denn er, der Sohn aus erster Ehe, halte zwei Fünftel der Räume, in denen sie, seine angenommene und nicht leibliche
     Mutter, weiter zu leben gedachte. Er berief sich auf die Gesetze der Logik, einer alleinstehenden Frau stünde so viel Wohnfläche
     einfach nicht zu, und deshalb wäre es keinesfalls herzlos von ihm, ihren Auszug aus der Wohnung und den unverzüglichen Verkauf
     zu fordern, er hätte Schulden und könne die Eintreiber nicht auf bessere Tage vertrösten …
    Eine hanebüchene Geschichte. Es war mir bekannt, daß dieser Mensch wegen eines Drogendelikts im Gefängnis gesessen hatte,
     daß er auf die Kraft baute, die sich vom Vater auf den Sohn übertrug, sein Vater hatte sich mit Gott und seinen Freunden,
     Bekannten und Verwandten angelegt und war dann doch davongekommen. Er hatte nicht gesiegt, der Sohn aber glaubte es und sagte
     mir ins Gesicht, daß nichts und keine Kraft der Welt ihn dazu brächte, feige schlappzumachen. Was soll das heißen? sagte ich
     ihm, die Frau deines verstorbenen Vaters hat fast mit ihrem Leben abgeschlossen, sie rechnet fest damit, daß man sie im Altersheim
     unterbringt. Ich hasse diese Melodramatik, sagte er, sie wohnt im sechsten Stock, und wenn sie zum Blumengießen auf den Balkon
     tritt, starrt sie auf das Altersheim auf der anderen Straßenseite, sie sieht die Alten am Fenster sitzen und ihr zuwinken,
     und es ist kein einziges Mal vorgekommen, daß sie zurückgewinkt hat. Mein Vater hat mir davon erzählt. Jetzt ist er tot, ich
     lebe und habe Schulden, meine Tante schickt dich vor, um mich umzustimmen, ich kenne dich gar nicht, wir sind uns in der Vergangenheit
     vielleicht zweimal begegnet, und du hast es nie für nötig befunden, |22| mich nach meinem Leben und meiner Lebensphilosophie zu fragen … Ich war angewidert von diesem aufgeklärten Idioten, der Blut,
     Familie, Ehre, Gefühle und Heimatliebe für Mißtöne im orchestrierten orientalischen Krach hielt, er war sich seiner sehr sicher,
     aber ihm mißlang fast alles. Ein linker Geschäftsmann, nun ja, diese Menschen gab es nicht selten, sie hatten sich früher
     in kleine schmerzhafte Scharmützel mit ›dem Staat‹ verwickelt, vielleicht hatten sie auch nur Aufrufe und Flugblätter verfaßt,
     und weil sie Verkommenheit voraussetzten, fingen sie an, sich gegenseitig zu bekämpfen. Im Verlauf des Gesprächs gerieten
     der Idiot der Familie und ich aneinander, es kam, wie es kommen mußte, er warf mir eine ultrakonservative Gesinnung vor, ich
     war ihm in die Falle gegangen und hatte mich auf ein politisches Streitgespräch eingelassen, trotzdem nannte ich ihn einen
     linken Versager, und es traf ihn hart. Er nannte
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