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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
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zum Staatskrankenhaus dauerte
     schon viel zu lange, wir fuhren durch menschenleere Straßen, an den |15| meisten Kreuzungen waren die Ampeln ausgeschaltet, in der einen oder anderen Wohnung brannte Licht, und einige Bauchladenverkäufer
     zogen ihre schwerbeladenen Karren hinter sich her. Es hatte uns fast genau auf halber Strecke erwischt, das war mein letzter
     Gedanke, bevor ich einnickte.
    Ich wachte auf, als der Krankenwagen mit einem harten Ruck zum Stehen kam. Die Ärztin zog die Schiebetür auf, wir stiegen,
     einer nach dem anderen, aus und blieben erst einmal stehen, ich hatte mich schon an Zurufe und Orders gewöhnt und traute mich
     nicht, ohne Anweisung einen Schritt zu machen. Auf dem Vorhof der Notfallstation gingen unrasierte Männer im Pyjama und Morgenmantel
     herum, sie bildeten eine kleine Schlange vor dem Kiosk, saßen auf den Parkbänken oder unterhielten sich mit ihren gesunden
     Verwandten. Ich sah zwei Wachbeamte, die uns einer flüchtigen Blickkontrolle unterzogen, auf ein Wort der Ärztin riefen sie
     Krankenwärter herbei, die uns in die Notaufnahme führten, und weil ich mir dumm vorkam, versuchte ich den mir zugewiesenen
     Pfleger abzuschütteln, doch er klammerte sich um so fester an mich und bat um Geduld. Wieso soll ich Geduld aufbringen? dachte
     ich, ich blute aus leichten Wunden, mein Gesicht sieht aus, als wäre ich von wilden Hunden angefallen worden, und ihr alle
     glaubt, der Unfall hätte aus mir einen Idioten gemacht. Der Pfleger brachte mich in einen kleinen Raum, und kaum war ich eingetreten,
     blickte der Polizist von den Akten auf, die er grob zur Seite wischte, man hatte ihn an einen Zwergenschreibtisch gesetzt,
     und vielleicht versetzte es ihn in Wut, daß er mitten in der Nacht den Befehl entgegennehmen mußte, unverzüglich zur Notfallstation
     zu eilen und die Aussagen der Leichtverletzten aufzunehmen.
    |16| Können Sie stehen, oder müssen Sie sich hinsetzen? sagte er.
    Bin ich festgenommen?
    Reden Sie keinen Blödsinn, sagte er, aber als er entdeckte, daß der Pfleger mich mit beiden Händen festhielt, wies er ihn
     forsch an, mich auf der Stelle loszulassen und zwei Tulpengläser Tee zu bringen, er schaute dem davonstürmenden Pfleger hinterher,
     er schaute sich kopfschüttelnd im Zimmer um, er schaute mir in die Augen.
    Was genau ist passiert? sagte er, die Einzelheiten sind wichtig.
    Ich habe geschlafen, sagte ich, ich glaube, ich bin ein unbrauchbarer Zeuge.
    Das steht nicht zur Debatte, sagte er seltsamerweise, Sie sollen mir nur erklären, wie sich ein nagelneuer Bus in eine große
     verschmorte Ziehharmonika verwandeln konnte.
    Man muß mich doch erst einmal untersuchen, oder liege ich falsch?
    Sie sind an Ort und Stelle notärztlich behandelt worden, sagte der Polizist, wir müssen uns also keine Sorgen machen, daß
     Sie mir in meinem Büro wegsterben … Die Fahrgäste auf den vorderen Sitzplätzen behaupten, der Fahrer wäre auf das Steuer gesackt,
     und sie schwören, daß er einen Herzinfarkt erlitten hat.
    Der Fahrer lebt doch noch, sagte ich, er hätte sich von einen Herzanfall nicht so leicht erholen können …
    Herzinfarkt, verbesserte er mich, und tatsächlich schließe ich einen Infarkt aus. Also, was ist bei Ihnen im Bus passiert?
    Die Hölle ist ausgebrochen, sagte ich, ich fand mich auf dem Mittelgang wieder, und wenige Sekunden später bin ich durch ein
     Loch im Fenster geschlüpft … dann kam eine Ausländerin und gab mir Wasser.
    |17| Eine ausländische Passagierin? rief der Polizist.
    Nein, sie eilte mir zu Hilfe. Sie ist dann auch schnell in ihr Auto gestiegen und weggefahren. Ich halte sie nicht für eine
     Terroristin.
    Nehmen Sie nicht so sorglos dieses Wort in den Mund, sagte er, das hat sonst unangenehme Konsequenzen für Sie. Sie wissen,
     daß die Irreführung der Ermittlungsbehörden einen Straftatbestand darstellt?
    Ich wußte nicht, daß ermittelt wird, gab ich zu, ich entschuldigte mich bei dem Polizisten für meinen sorglosen Umgang mit
     der türkischen Sprache, ich erklärte ihm, daß ich fast mein ganzes Leben im Ausland verbracht hätte, und je mehr ich redete,
     desto gebrochener sprach ich, die Worte sprangen wie torkelnde Narren aus meinem Mund und fielen mir vor die Füße, der Polizist
     aber nahm mir meine Laschheit gegenüber seiner Muttersprache nicht übel, er ließ mir vom Pfleger das Teeglas reichen, schickte
     ihn weg, ich nahm einen Schluck und einen zweiten und einen dritten, die schwere Wolldecke
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