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Den Finger am Abzug

Den Finger am Abzug

Titel: Den Finger am Abzug
Autoren: Mark E. Carter
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Glamoc
     
     
     
    Wonach Erde schmeckt?
    Etwas bitter, ein wenig seifig. Jedenfalls hat man das Gefühl, sie würde nie mehr aus dem Mund verschwinden wollen. Sie schmeckt aber auch nach Sicherheit und Hoffnung. Hoffnung darauf, einen solchen Moment zu überleben.
    Wä hrend ich hier zusammengekauert hinter einer kleinen Erhebung inmitten einer großzügigen Wiese liege und mein Gesicht in den kühlen Boden presse, fühle ich mich einen Augenblick lang beinahe geborgen. Projektile, die immer wieder in unmittelbarer Umgebung in den Boden klatschen, Salven von Schnellfeuergewehren aus den eigenen Reihen, die hektischen Rufe des Kommandanten. Auf nahezu schmerzhafte Weise werde ich wieder aus meinen Gedanken gerissen.
    Rechts neben mir drü ckt sich Sergej in seine Deckung. Als Antwort auf mein aufmunterndes Kopfnicken presst er seine Lippen zusammen und rollt mit den Augen. Ich werfe einen Blick nach links und zwinkere Joe zu, ein verkappter Clown aus Hermagor in Kärnten. Er ist der Spaßvogel der Truppe, und wenn auch nicht jeder seine Worte versteht, seine Grimassen haben noch jeden zum Lachen gebracht. Sogar Sergej, den ständig missmutig wirkenden Ukrainer. Jeder findet auf seine Weise einen Weg, um die täglichen Erlebnisse zu verarbeiten. Wenn es soweit ist, hilft das Adrenalin jegliches Denken auszuschalten und das Töten erträglich zu machen.
    Adrenalin ist wie eine Droge. Es fü hrt einen in ein Gefühl der Überlegenheit. Für eine kurze Zeitspanne denkt man tatsächlich, man hat sich mit dem Schicksal arrangiert, und es geleitet einen durch eine Dornenhecke des Grauens.
    Man agiert, man hasst und man vernichtet. Der Kö rper, der Geist nimmt wahr, reagiert, und er will überleben. Schonungslos und ohne Kompromisse. Sobald die Droge Adrenalin aber nachlässt, sobald man wieder Herr wird über seine ureigenen Gedanken und Emotionen, sobald die Moral wieder aus ihrem Exil zurückkehrt, öffnet sich ein tiefes Loch eines brodelnden Nichts.
    Was ist Moral? Was ist sie wert? Wie oft habe ich in den letzten Wochen ü ber diese Frage nachgedacht? Erst wenn man mit ansieht, wozu Menschen fähig sind, welche Qualen sie verbreiten und zu erleiden imstande sind, beginnt sich der Begriff „Moral“ Schritt für Schritt zu pervertieren. Lächerlich erscheinen dann die moralischen Grundwerte einer funktionierenden Gesellschaft. Es drängt sich die Frage auf, ob es nicht ein grundlegender Fehler der menschlichen Rasse war, als Gemeinschaft diesen Planeten zu bevölkern. Der Mensch ist eine Bestie und nur seine Intelligenz hilft ihm, sich halbwegs unter Kontrolle zu halten. Die Moral selbst, als eine Art ethischer Verhaltenskodex einer Kultur oder einer Gruppe, ist lediglich ein weiteres Gitter um jenen Käfig zu verstärken, der die Bestie im Menschen im Zaum hält.
     
    Wir befinden uns vor einem Dorf in der Nähe von Glamoc, irgendwo zwischen Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Das Dorf, oder vielmehr was von ihm nach etlichen Bombardements übrig blieb, wird von einer serbischen Einheit gehalten. Sie hat sich in den Ruinen verschanzt, und vor allem die Heckenschützen machen einem das Leben schwer.
    Wir, das ist ein kleiner Trupp bestehend aus ungefä hr sechzig Mann, zum Teil kroatische Armee und der andere Teil besteht aus Söldnern. Abenteurer, Soldaten, die endlich Krieg spielen wollen, Neonazis und Soziopathen die darauf brennen zu erfahren, wie es ist, einen Menschen zu töten. Die Söldner meldeten sich seit Kriegsbeginn aus allen möglichen Ländern Europas bei der kroatischen Armee und diese nahm sie dankbar auf. Auch ich gehöre zu ihnen und ich zähle mich zu den kriegsspielenden Soldaten. Nach einer Ausbildung bei einer militärischen Spezialeinheit des österreichischen Heeres war ich verrückt genug, mich der Idee eines Kameraden anzuschließen. Warum auch nicht? Ein Soldat ist per Definition unbesiegbar, nicht wahr? Empirische Defizite gepaart mit der intellektuellen Unzulänglichkeit eines jungen Menschen treiben manchmal sonderbare Blüten.
     
    Ich hebe kurz meinen Kopf, versuche zwischen dem hohen Gras etwas zu erkennen, eine Ahnung zu bekommen, welcher Weg in das Dorf führen könnte und wo die Stellungen des Feindes liegen. Schnell vergrabe ich mein Gesicht wieder im Boden, denn sofort hört man das Pfeifen von Projektilen. Ein kurzer Blick, nicht mehr. Sobald ein Scharfschütze die Position eines Feindes ausmachen kann, wird er darauf lauern, bis dieser sich ein weiteres Mal zeigt. Dummerweise
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