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Den Finger am Abzug

Den Finger am Abzug

Titel: Den Finger am Abzug
Autoren: Mark E. Carter
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gerne mal zu Dantes Inferno ab. Ein kleiner Ausflug in die Welt des geistigen Irrsinns.
     
    Wir werden schnell in Gruppen eingeteilt, durch Handzeichen, eigentlich beinahe unnötig, da die Teams sowieso immer gleich bleiben. Es sei denn, man verliert jemanden aus der Gruppe, so wie wir gerade eben. Nun arbeiten sich Teams von fünf bis sechs Mann Haus für Haus vorwärts. Häuserkampf ist etwas Schreckliches. Hinter jeder Ecke könnte der Feind stehen, und sollte dies nicht der Fall sein, besteht immer noch eine reelle Chance, von einem Heckenschützen aus den anliegenden Gebäuden erschossen zu werden. Ich sehe nur bis zur nächsten Hauswand, nicht weiter. Überleben ist hier keine Frage der Ausbildung, es ist eine Frage der nötigen Portion Glück.
    Die Anspannung bleibt nicht stä ndig auf einem hohen Level, vielmehr sind es Wellen die einem widerfahren. Während man in Deckung ist, entspannt man sich. Bei längerer Dauer eines Gefechtes schleicht sich meist eine skurrile Form der Routine ein, um erneut schlagartig der Angst und dem Stress zu weichen.
    Angst und Stress sind wichtig. Sie versorgen den Kö rper mit Drogen, schalten das Denken aus und erhöhen die Aufmerksamkeit. Die Sinne werden auf ein höheres Level gestellt und man fühlt sich wie ein Wolf auf der Jagd.
     
    Einige Stunden später sitze ich in der Nähe der Ortsgrenze, oder besser ausgedrückt: die Trümmerhaufen, die einmal eine Ortschaft waren. Gut geschützt von den Mauern eines ehemaligen kleinen Einfamilienhauses betrachte ich die untergehende Sonne, die mit dem hohen Gras zu verschmelzen scheint. Es angenehm warm und meine Kappe ruht auf meinem linken Knie. Die Wiese lädt ein loszulaufen. Doch noch wissen wir nicht, ob hier ein Mienenfeld vergraben liegt oder der Feind auf romantische Idioten wartet, die dumm genug sind, einen Spaziergang zu unternehmen.
    Wir konnten das Dorf erobern und alle Gegner – eine Gruppe von rund zwanzig Serben – ausschalten, wie man so schön sagt.
    Die Erinnerungen an dieses Gefecht haben sich in mein Gehirn gebrannt. Sie lassen sich nicht mehr entfernen. Stä ndige Begleiter, die vor allem nachts Beachtung einfordern.
    Wä hrend mein Blick über die Wiese schweift, erinnere mich an jene Situation, als meine Gruppe ein Haus, das früher wahrscheinlich eine Arztpraxis war, betritt, um es zu säubern. Plötzlich kam ein junger Serbe schreiend um die Ecke und stand direkt vor mir, seine Kalaschnikow auf mich gerichtet. Dank meiner Reflexe rammte ich ihm mein Messer seitlich in den Hals. Die Projektile seiner Waffe verfehlten mich. Miro, ein kroatischer Soldat in meiner Gruppe, wurde am Bein getroffen und brach zusammen.
    Dieser Schrei, der in ein unmenschliches Gurgeln ü berging, als mein Messer in seinen Hals eindrang. Das Blut, das mir ins Gesicht und auf meine Kleidung spritze, als ich ihm mit einer ruckartigen Bewegung die Kehle aufschlitzte. Der zuckende Leib des sterbenden Gegners, dessen Körper sich entleert und der Gestank von Kot und Urin mir die Magensäfte hochkommen lässt. All diese Dinge verfolgen einen ein Leben lang und sie verhindern erfolgreich ein Verdrängen dieser Erlebnisse.
    Ich zitterte am ganzen Kö rper, und als ich den toten Jungen von vielleicht zwanzig Jahren vor mir sah, fühlte ich mich überlegen. Letztlich reagierte ich richtig und lebe.
    „ Richtig“ und „Falsch“ bekommen in solchen Situationen einen komplett anderen Kontext. Der Bezugsrahmen ist nicht mehr der Mensch, sondern die Bestie und dadurch verschiebt sich schlichtweg alles, woran man bisher glauben wollte.
    Miros Wunde war nicht schlimm, wir banden sie mit dem Gü rtel des toten Soldaten ab und wird erst später ein Fall für den Sanitäter werden.
     
    An diesem Tag erzählte man mir von einer Zelle in einem Keller eines Wohnhauses, die unsere Soldaten in dieser Ortschaft entdeckten. Es waren einige junge Frauen darin untergebracht. Die Serben brachten sie nicht, wie die anderen Bewohner dieser Ortschaft, um, sondern hielten sich diese Mädchen als Sexobjekte. Ein Soldat erzählte mir, dass sie noch lebten, als unsere Einheit in das Haus eindrang, drei Serben erschossen und die Tür zu dieser Zelle öffnete.
    Sie hatten diese Frauen auf das Schwerste misshandelt und die Mischung aus bitterem Geruch von Schweiß und jenem Süßlich/metallischem von Blut erfüllte den Raum.
    Ihre Kleidung hing nur noch in Fetzen an ihnen und ihre Kö rper waren durch unzählige Schläge und Vergewaltigungen schwer entstellt.
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