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Den Finger am Abzug

Den Finger am Abzug

Titel: Den Finger am Abzug
Autoren: Mark E. Carter
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den toten UCK-Kä mpfer und einen Hund, der ein Stück Darm herauszog. Einer der Kroaten erschoss das Tier. Später kochte man ihn. An diesem Abend aß ich lieber kalte Linsen aus der Dose. Lieber hungere ich, als auch nur einen Bissen von einem Hund zu probieren, der kurz vorher Menschenfleisch gefressen hatte! Den Kroaten schmeckte es, sollen sie doch.
     
    Da die Erschossenen auf der rechten Seite liegen, kam der Schuss wahrscheinlich von links und genau dort wollen wir hin. Frank hält sich etwas abseits, damit er in Ruhe seine Suche nach einer übersichtlichen Stelle beginnen kann. Er ist Scharfschütze und noch dazu ein verdammt Guter. Scharfschützen agieren normalerweise zu zweit. Während der eine die Waffe bedient, beobachtet der andere das Gebiet und gibt dem Schützen Anweisungen, wo dieser sein Ziel findet. Franks „Auge“ heißt Milan und beide graben sich an einer geeigneten Position ein. Dazu kehren sie mit den Händen das Laub beiseite, legen ein Tarnnetz über sich und schieben zum Schluss die abgestorbenen Blätter darüber. Aus einiger Entfernung ist es unmöglich, die beiden zu erkennen.
    Der Rest der Gruppe schleicht sich an einen Hügel heran, wo wir auf eine gute Sicht hoffen.
    Der Boden ist mit einer Schicht Laub bedeckt und darunter liegende Ä ste machen ein leises Vorankommen schwierig. Wenn sich der Gegner jetzt in der Nähe befindet, weiß er mit absoluter Sicherheit, dass wir uns ihm nähern. Obwohl die Sonne erst vor kurzem am Horizont erschienen ist, steht mir der Schweiß im Gesicht. Zu viel Anspannung engt das Denken ein. Es lässt eine Art Tunnelblick entstehen, extrem gefährlich in Situationen wie diese.
    Inzwischen ist j egliches natürliches Geräusch im Wald erstorben. Kein Vogelzwitschern, nicht einmal das Surren von Insekten hören wir. Ich hasse solche Momente, denn sie kündigen „die Scheiße“, wie wir Kampfhandlungen gerne nennen, an. Immer. Keine Ahnung, warum die Natur so genau Bescheid weiß, wann es kritisch wird. Sie weiß es einfach.
     
    Ein Kroate entdeckt im letzten Moment eine Stolperfalle, ein zwischen zwei Bäumen gespannter Draht, an dessen Ende ein Sprengsatz montiert wurde. Wir gehen in Deckung und in diesem Augenblick zerreißt ein Schuss die Stille!
    Hier ist es wieder, das Adrenalin! Auf erlö sende Weise nimmt es meinen Körper in Besitz und reflexartig gehe ich mit dem Sturmgewehr im Anschlag in Stellung. Neben mir liegt Dragic, ein Soldat der regulären Armee. Wir beachten einander nicht, sondern riskieren immer wieder einen Orientierungsblick nach vorne.
    Der Schuss kam vom serbischen Scharfschü tzen, glücklicherweise hatte er  keinen von uns getroffen. Sekunden folgen, dann fällt ein weiterer Schuss, und als kurz darauf Milans Funkspruch bestätigt, dass Frank den feindlichen Heckenschützen erwischt hat, scheint es, als ob alle gleichzeitig aufatmen.
    Einen Wimpernschlag spä ter zerstört feindliches MG unser harmonisches Miteinander. Serbische Einheiten nehmen uns unter schweren Beschuss und wir versuchen irgendwie dagegen zu halten.
    Das Schlimmste in einer solchen Situation ist nicht die Angst davor, getroffen zu werden. Daran denkt man nicht, wenn man sich mitten im Gefecht befindet. Der intellektuelle Prozess des Den kens flackert hier maximal kurzzeitig auf, der Rest ist antrainiertes Verhalten, Routine, instinktgesteuerte Reaktionen.
    Es ist die Orientierungslosigkeit, der erlittene Kontrollverlust, der dem Soldaten zusetzt. Ein Soldat ist ein Kontrolljunkie. Wer die Übersicht hat, wer die Situation steuert und lenkt, der entscheidet über Leben und Tod. Man muss letztlich höllisch aufpassen, dass dieses Gefühl der Macht, die Kontrolle über die Existenz anderer Menschen, nicht süchtig macht. Ich behaupte, dass der Soldat das Töten nicht deswegen akzeptiert, weil er „seinem Land einen Eid geschworen hat“ oder weil er „einen Auftrag auszuführen hat.“ Das ist Hollywood-Romantik und Bullshit. Wer Aufträge ausführen möchte, der wird Sachbearbeiter. Der Soldat arrangiert sich mit dem Töten anderer Menschen, weil er von dem Gefühl der Macht angesteckt wurde, die dieser Akt automatisch beinhaltet. Oder weil er ein krankes Arschloch ist, dass Gefallen findet am Vernichten von Menschenleben. In diesem Falle gehört er in die Gruppe der Soziopathen und diese Spezies möchte andere Menschen leiden sehen. Auch davon gibt es genug.
    Wir hö ren unseren Kommandanten „Fire on two!“ rufen, der Feind aus einer Richtung
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