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Den Finger am Abzug

Den Finger am Abzug

Titel: Den Finger am Abzug
Autoren: Mark E. Carter
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leicht rechts von uns angreift, also „zwei Uhr“. Endlich kann ich das Aufflackern von Mündungsfeuer erkennen. Die Stellung zu halten ist sinnlos, wir müssen uns zurückziehen. Die Uniform klebt an meinem Körper und es scheint, als wären sämtliche Insekten unter meine Kleidung gekrochen, so juckt alles an mir. Wir wählen einen anderen Weg zurück, abseits des Pfades, den wir auf dem Hinweg genommen hatten. Später stoßen Frank und Milan zu uns. Obwohl es keine Verluste gab, sind wir alle ziemlich aufgekratzt. Schließlich konnten wir unseren Auftrag nicht ausführen und wir wurden wie Kinder aus des Nachbars Garten vertrieben.
     
    Mit einer Flasche Schnaps sitzen Joe und ich vor einem Lokal und kippen uns das Zeug hinein. Es ist die Straße gleich nach dem Militärlager und die erste Kneipe in der von Granaten erschütterten Stadt Bihac. Die Nacht ist angenehm mild, wie man es von einem Juni auch erwartet. Schräg gegenüber steigt der Lärmpegel plötzlich an. Wir sehen Ivan, der einen anderer Söldner aus unserer Truppe, einen blassen Typen, auf die Straße zerrt und seine Faust in dessen Gesicht vergräbt. Ivan ist Russe, Ende zwanzig und behauptet von sich, in der Fremdenlegion gedient zu haben. Da geschätzte 2/3 aller Soldaten hier in Jugoslawien behaupten, in der französischen Legion gewesen zu sein, muss diese Armee theoretisch eine beeindruckende Mannstärke aufweisen. Ich glaube eher, dass es bis auf wenige Ausnahmen schlicht einfach dummes Gewäsch ist. Die Gruppendynamik im Militär verlangt von einem, möglichst hart aufzutreten. Im Krieg ist es noch extremer und würde man die Kills aller Soldaten hier zusammenzählen, müsste der Planet schon längst menschenleer sein. Es wird maßlos übertrieben und in seinen Erzählungen ist jeder Soldat ein eiskalter Killer, in dessen Hand schlichtweg alles zur tödlichen Waffe wird.
    Lä cherliche Produktion von heißer Luft, zumindest in den allermeisten Fällen! Ob ein Soldat etwas taugt oder nicht, zeigt sich im Kampfeinsatz und da wird aus manch großem Krieger ein heulendes Muttersöhnchen, das sich vor Angst in die Hose pisst.
    Ivan ist da anders. Man traut ihm durch aus kämpferische Qualitäten zu, schon alleine durch seine körperliche Konstitution. Er wirkt nicht besonders muskulös, jedoch sucht man bei ihm vergeblich nach Fettpolstern und sein Händedruck fühlt sich an, als ob man unter eine Metallpresse geraten ist.
    Er ist ein hervorragender Soldat. Immer ruhig und besonnen, selbst unter heftigsten Beschuss. Wie eine Maschine agiert er aus der Deckung heraus und eine Gefü hlsregung konnte ich bei ihm bis jetzt nur beobachten, wenn er von seiner kleinen Tochter erzählt.
    Sein Kontrahent ist ein junger deutscher Neonazi, weiß gesichtig, breiter Schädel, massige Figur. Er kommt aus der Gegend um Dresden und im Lager nervt er alle mit seinem scheiß Hitler-Gehabe und seinem pseudoaggressiven Verhalten. Er kam vor drei Tagen mit einem größeren Trupp hier an und gehört zu jenen Idioten, mit denen niemand etwas zu tun haben will.
    Jedenfalls dü rften sich der Neonazi und Ivan nicht sonderlich mögen, denn unser russischer Kamerad konnte eine zweite Rechte in seinem Gesicht landen. Das hässliche Krachen kam wohl von den Stühlen, über die der Deutsche fiel, wobei es durchaus auch der Kiefer gewesen sein könnte. Ivan beugt sich über den am Boden liegenden Neonazi und schlägt ihm weitere Male hart ins Gesicht. Dann erst können ihn andere Soldaten besänftigen und endlich wendet er sich, seine rechte Hand betrachtend, ab.
    Der blasse Neonazi bleibt liegen. Dem vielen Blut nach zu urteilen hat es ihn schwer erwischt.
    Der Einsatz heute war frustrierend und jeder sucht sich auf andere Weise sein Ventil. Die Aggression, die man aus einem solchen Kampfeinsatz mitnimmt, muss irgendwie abgebaut werden. Die Reizschwelle ist viel zu niedrig, um in einem Umfeld, wo der Tod ständig präsent ist, wo Gewalt zu einer Art rhetorische Ausdrucksmöglichkeit wird, Frust aufstauen zu lassen. Hier lässt sich nichts aufstauen, es muss raus, aus dem Körper gewaschen werden. Es ist nur die Frage, wie enthemmt jeder einzelne damit umgeht. Die einen betrinken sich, wie Joe und ich an diesem Abend, andere vögeln den Frust aus sich heraus und dann gibt es die, die sich prügeln.
    Ich proste Joe zu und sage: „ Auf den Dämon!“
    Er blickt zum Himmel, hebt die Flasche an und nimmt einen Schluck. „ Auf eam!“, höre ich Joe lallen und nicke
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