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Den Finger am Abzug

Den Finger am Abzug

Titel: Den Finger am Abzug
Autoren: Mark E. Carter
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bin in diesem Falle ICH der Feind.
    „ Wir gehen jetzt rein! Die linke Flanke gibt Feuerschutz und die Rechte macht sich zum Vorstoß bereit!“ Die Worte des Kommandanten, in gebrochenem Englisch formuliert, lassen sich am besten als „unterdrücktes Brüllen“ beschreiben.
    Es wird ernst. Ich gehö re der rechten Flanke an und ein Gefühl, als ob ein Messer meinen Magen zerschneiden würde, lässt Adrenalin in mein Gehirn schießen. Der Moment der Verwandlung, die Metamorphose vom Menschen zum Krieger, zum Killer. Dieser Moment ist nun gekommen.
    Ich rolle mich nach rechts um meine Position zu verä ndern und dem Heckenschützen auf der anderen Seite keinen weiteren Abschuss zu gönnen und bewege mich halb kriechend, die AK 47 mit einer Hand fest an meinen Körper gedrückt zum Ausläufer des Hügels. Noch befinde ich mich in Deckung, doch gleich müssen wir in offeneres Gelände vordringen. Der Kommandant weist uns an, bestmöglich verteilt zu agieren, um dem Feind weniger Ziele zu bieten. Er beginnt zu zählen, das Zeichen loszulegen. Ein kurzes „Go!“ ertönt zischend im Sprechfunkgerät und mit der Präzision eines Symphonie-Orchesters bricht die Hölle los.
    Das MG-Feuer zielt vorwiegend auf hö her gelegene Positionen im Dorf, Hausdächer beispielsweise, um die Scharfschützen zu beschäftigen. Ab und an kann man den Mörser hören. Dieser wird nur sparsam eingesetzt, denn der Vorrat an Granaten ist knapp.
     
    Ich bin an der Reihe.
    Mein Herz schlä gt so stark, als ob es mich ersticken wolle und die Angst lässt mich wie ein gehetztes Tier agieren. Ein letzter Blick auf mein vorher ausgemachtes Ziel, eine Baumgruppe am Rande eines Abhanges, der in einem Bach mündet. Zwei andere Soldaten liegen bereits dort, also ist auch noch Platz für mich vorhanden. Geduckt laufe ich los und schlage mehrere Haken, als ich plötzlich ein kurzes Pfeifen, gefolgt von einem klatschenden Geräusch hinter mir höre. Wenn ein Mensch von einem Projektil getroffen wird, klingt es oftmals so, als ob man einen Stein in seichtes Wasser wirft. Ich drehe mich nicht um, sondern ich versuche zu überleben, eine weitere Etappe meines Lebens erfolgreich zu meistern.
    Nachdem ich mich in die Deckung geworfen habe, blicke ich den Weg hoch und sehe Sergej. Fü r einen kurzen Moment liegt er regungslos am Rücken, dann dreht er sich auf die Seite und krümmt seinen Körper. Er wurde am Bauch getroffen und instinktiv presst er seine Hände gegen die Stelle. Hinter mir brüllt der Kommandant auf Kroatisch etwas in das Funkgerät. Niemand hilft dem Ukrainer, er liegt einfach nur da, alleine mit seinem Schmerz und seiner Hilflosigkeit. Ihn retten zu versuchen wäre viel zu gefährlich, denn auf solche Aktionen warten Scharfschützen geradezu.
    „ Go! Go!“, ertönt es hinter mir und ich suche mir das nächste Ziel. Wir müssen weiter, das Dorf erobern und vor allem nahe genug an die Gebäude kommen, damit die Heckenschützen einen nicht mehr erfassen können. Ich verkrieche mich hinter den Überresten eines umgekippten Traktors. Nur noch maximal siebzig Meter beträgt nun die Distanz zu den ersten Gebäuden des Dorfes. Kurz wage ich es meine Deckung zu verlassen und jage eine Salve in Richtung einer Scheune. Dort glaube ich, einen Scharschützen der Serben gesehen zu haben.
    Ich ziehe mich wieder zurü ck, lege mich flach auf den Boden, um von dieser neuen Position aus noch mal einen Blick zu riskieren. MG-Projektile jagen in unmittelbarer Nähe klatschend in Hausmauern. Niemand zu sehen, ich laufe erneut los.
    Als ich meinen Kö rper an eine Hauswand werfe und tief durchatme, wandern meine Augen suchend die kleine Straße entlang. Sergej liegt nach wie vor da und dürfte vor Schmerzen schreien, zumindest deutet sein sich immer wieder öffnender Mund darauf hin. Der Kommandant brüllt einen Befehl auf Kroatisch, um uns gleich darauf ein warnendes „Stay! We try to help Sergej!“, zu schicken. Wenn die Gruppe verteilt ist, wie gerade der Fall, werden die Kommandos von Mann zu Mann weitergeleitet. Stille Post im Krieg.
    Kurz darauf jagen unsere MGs eine Salve nach der anderen ab und der Lä rm wird ohrenbetäubend. Gleichzeitig laufen zwei Mann zu dem verwundeten Soldaten und zerren ihn zum Hügel zurück. Jetzt glaube ich, seine Schreie hören zu können. Natürlich ist das nicht möglich, denn dafür ist der Gefechtslärm zu laut und Sergej zu weit entfernt.
    In solchen Situationen schweifen meine Erinnerungen fü r kurze Augenblicke
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