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Den Finger am Abzug

Den Finger am Abzug

Titel: Den Finger am Abzug
Autoren: Mark E. Carter
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Aufgedunsen, großflächige, klaffende Wunden auf denen Fliegen hockten ließen die Einheit zurückprallen. In einer Ecke, so erzählte man mir später, lag ein junges Mädchen von maximal sechzehn Jahren mit aufgeschlitztem Bauch, aus dem der Darm herausquoll. Sie lag mit gespreizten Beinen im Dreck und wurde scheinbar mehrfach vergewaltigt. Sie war bereits seit längerer Zeit tot und diesem Zustand waren die anderen vier Frauen näher als dem Leben. Als sich die Türe öffnete, rührte sich keine mehr von ihnen. Der Sanitäter lief hinaus und übergab sich, weil er den Gestank einfach nicht aushielt.
    Unse re Männer erschossen die Frauen. Auf diese Weise ersparten sie ihnen ein langsames Sterben.
    Die Moral des Krieges erhebt so etwas zu einer „ ehrwürdigen Tat.“ Mord wird als „moralisch akzeptabel“ empfunden, wenn er innerhalb eines bestimmten Bezugsrahmens stattfindet. Mord erhält in einem solchen Fall den reinwaschenden Titel „Erlösung.“
     
    In einem anderen Fall, an einem anderen Ort, wurde ich Zeuge einer Befragung durch den Feind. Kurz bevor wir den Befehl für den Zugriff bekamen, sah ich durch ein Kellerfenster, wie man einen Gefangenen mit Stromschlägen traktierte. Ein Mann saß auf einem Stuhl, der durch unzählige Schläge entstellte Kopf, kippte nach vorne über. Seine Beine befanden sich in einem Wassereimer, die Autobatterie, mit Drähten, die zu seinem Körper führten, neben ihm.
    Ich hö rte die Männer sprechen, sie waren zu dritt und einer legte das blanke Kabelende auf eine Kontaktstelle der Batterie. Ruckartig schoss der Kopf nach vorne, ein unartikulierbarer Laut entwich dem Mund des Gefangenen und Schaum bildete sich auf seinen Lippen.
    Diesen Anblick werde ich ebenso nie mehr vergessen und er verfolgt mich seitdem in meinen Albträ umen. Für ein paar Sekunden waren wir zu spät dran, sonst hätten wir dem Mann die abermalige Folter ersparen können. Der Zugriff erfolgte über die aufspringende Türe und wir schossen durch das Fenster auf die drei Männer.
    Joe kommt zu mir und klopft mir auf die Schulter. Ich lä chle ihn an und nicke.
    Diesmal macht er keinen Witz, danach ist auch niemanden zumute.
    „A poar hom ma verlurn“, versucht er eine Konversation zu beginnen. „Schiach de Gschicht mit de oarmen Weiber, gö?“, ergänzt er, während sein Blick ins Leere zu starren scheint.
    Ich nicke. Zu mehr fehlt mir heute einfach die Kraft.
    Ja, wir verloren heute vier Leute aus der Einheit. Einen schwedischen Söldner, zwei kroatische Soldaten, und Sergej. Er verblutete. Kurz, nachdem wir ihn retten konnten.
    Einen Kameraden und Freund zu verlieren ist schrecklich. Man kann das Gefü hl nicht beschreiben das einem widerfährt, wenn man seinen Kampfgefährten am Boden liegen sieht und ihm dabei zusehen muss, wie er verreckt.
    „ Der eigene Überlebenswille lässt Freunde sterben“, schießt es mir durch den Kopf. Ist es wirklich so banal? Oder ist es mehr als nur eine rein egoistische Entscheidung, die in solchen Situationen die Auswahl trifft?
    Ich hoffe es.

 

Bihac
     
     
     
    Nur wenige Lichter weisen den Weg durch das groß e Zeltlager am Rande der Stadt Bihac. Ich sitze neben meinem Feldbett am Boden und rauche eine Zigarette. Während ich den Rauch auf seiner Reise zum Himmel beobachte, mustern meine Ohren unablässig die Umgebung nach verdächtigen Geräuschen.
    Will man ü berleben, muss man wachsam sein , lautet die erste Regel im Krieg, der unzählige weitere folgen, je nachdem wen man fragt und wie betrunken er ist. Stupide Versuche, dem Chaos etwas vorschreiben zu wollen. Als ob sich eine Welt, die ihre Nahrung aus Hass und Hemmungslosigkeit bezieht, mit etwas wie einer Bedienungsanleitung zum Überleben füttern lässt. Und doch vermitteln so gut gemeinte Ratschläge wie „Trockene Füße erhöhen die Schlagkraft einer Truppe“ oder „Wechsle das Magazin, wenn du daran denkst“ einem das Gefühl, dass es einen Wegweiser zurück in den Alltag gäbe.
    Das GPS in der Rush Hour der tä glichen Gefechte.
    Ich lache und komme mir gleichzeitig reichlich dä mlich dabei vor.
     
    Mit geschlossenen Augen schmecke ich die Luft. Wenn man seinen Kopf frei macht, an nichts denkt und die anderen Sinne minimiert, kann man die Umgebung geschmacklich wahrnehmen. Angst, Hass, Gefahr, all das breitet sich am Gaumen wie zäher Brei aus, zumindest bilde ich mir das ein. Ich öffne meine Augen und starre auf die Zigarette. Der Qualm reißt mich aus meiner geschmacklichen
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