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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand
Autoren: Feridun Zaimoglu
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es war unerträglich heiß, ich wischte mir Stirn, Nacken und Hals mit der Stoffserviette ab und aß nur ein Viertel
     des Schnitzels, das den Tellerrand |360| überragte, wir brachen auf und schlenderten an den alten Häusern vorbei, sie hießen Zum goldenen Bär, Zur goldenen Birne oder
     Zum heiligen Christoph und waren Ende des siebzehnten und Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erbaut worden, auf dem Fensterbrett
     der zur Außenterrasse offenen Küchendurchreiche eines Restaurants lag eine Klingel, die Gäste wurden gebeten, nach dem Service
     zu läuten, eine Biedermeiergastwirtschaft in der Burggasse hieß ›Zu ebener Erde und erster Stock‹, ich hatte Tyra angeboten,
     für den Verdauungskaffee in einem Restaurant ihrer Wahl einzukehren, sie aber ging an den Restaurants vorbei, ihre blonden
     Augenbrauen zogen sich zusammen, ich wollte die Falte auf ihrer Stirn sofort küssen.
    Ich habe eine Pause von meiner Arbeit genommen, sagte sie.
    Vielleicht ist es auch keine Pause, sagte ich, kein Mann und kein Doktorvater.
    Und wahrscheinlich auch kein Liebhaber, sagte sie.
    Es gibt für alles eine Zeit.
    Du redest dumm daher, sagte sie und verschränkte ihre Hand mit der meinen.
    Also werde ich nicht sagen, daß ich warten kann.
    Das mit uns beiden ist doch eine traurige Angelegenheit. Du wirst daran Schaden nehmen.
    Nach dem Unfall, sagte ich, hast du mir Wasser zum Trinken gegeben … Wo ist der Ring, den du damals getragen hast?
    Man hat ihn mir gestohlen. Das, was mir an Schmuck geblieben ist, habe ich dir gezeigt. Es ist egal.
    Wieso?
    Ich werde weniger. Und ich? sagte ich.
    Du bist das, was ich nicht wirklich will und was mir aber nachläuft.
    |361| Die Männer, die du liebst, sind tot und in Stein gehauen, sagte ich, belästige ich dich?
    Kaum, sagte sie.
    Ich kann warten.
    Umsonst, hauchte sie, alles umsonst.
    Und ich ließ mich von ihr führen, in der Gewißheit, daß man mich bald nicht brauchen würde, ich unterdrückte den Drang, sie
     auf der Stelle zu ohrfeigen und ihr den bösen Geist der Totenverehrung auszutreiben, ich war kein Idiot in einem Abschnitt
     ihres Lebens, in dem sie sich dafür entschieden hatte, allein zu glühen und keinen Bissen mehr als nötig zu sich zu nehmen.
    Ich löste mich aus ihrem Handgriff. Ich blieb stehen. Deine verdammten Kinderspiele, sagte ich, warte nicht auf Gottes Strafe.
     Es wird schon ein Mann kommen, der dich bestraft.
    Die Frauen mit den Fächern auf den Terrassen, sie schauten mir lächelnd nach, als ich vorwärts stürmte, und die Männer in
     weißen Unterhemden, die an offenen Fenstern standen, sie schauten herunter, und ein Junge, der unter der Anleitung seines
     Vaters Fleischstücke auf Holzspieße zog, pfiff mir hinterher, zwei Gassen weiter blieb ich vor dem Schaufenster eines Ledergeschäfts
     stehen und starrte auf eine Geldbörse, die aus der Haut von Straußenbeinen gemacht war, ich mußte mich ablenken, ich wollte
     mich ablenken, doch die Läden hatten geschlossen, ich stürmte weiter, vorbei an dem Geschäft, das schlechte kleine Ölbilder
     mit eingebackenen Pinselhaaren verkaufte, und ich lief und blieb doch in der Wolke aus schlechten Träumen und einem schönen
     Kindertraum, daß es nur Buntstifte bedurfte, um Zwerge, Froschkönige und Erbsenprinzessinnen blind und lahm vor Liebe werden
     zu lassen, ich trat in einen Hofeingang, und das Sensorlicht ging an und fiel auf einen Haufen verdreckter verknüllter |362| Papierdecken neben den Müllcontainern, da lag also der Abfall eines Kindergeburtstags, ich entdeckte zerbrochene, mit Erdkrumen
     beklebte Lutschstangen und eingedrückte Papierhüte, ich schloß vor Zorn die Augen und trat auf der Parallelstraße aus dem
     Hof heraus, damit hatte es doch angefangen, ich sah auch nach dem Busunglück ein Zeichen darin, daß sie mir Wasser zum Trinken
     gegeben hatte, ihre Finger, ihr Ring am Finger, die Hand, die sie zurückzog, weil sie nicht bleiben konnte, und plötzlich
     klang in meinen Ohren das Dröhnen vor dem kommenden Tod, das Dröhnen, das ich gehört hatte kurz vor und kurz nach dem Stoß,
     und jene, die sich angegurtet hatten, waren vom herabkrachenden geborstenen Metall erschlagen und aufgespießt worden, nichts
     und niemand in ihrer Nähe, und ihre Körper brannten und ihre Seelen sollten nicht brennen im Fegefeuer, nicht büßen, weil
     sie gelitten hatten, ich knöpfte mir das Hemd auf, weil mich mein Herzschlag erhitzte, es war doch vorbei, ich war heil davongekommen,
     und
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