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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
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Kinder hat. Die hat unser Doktor ebenfalls aufgetrieben; Du siehst, er ist nützlich. Offiziell untersteht sie Miß Snaith, aber sie ergreift schon die Diktatur in befriedigender Weise. Ich kann nun nachts ohne die Angst schlafen, daß unsere Babys durch Unfähigkeit ermordet werden.
    Wie Du siehst, kommen unsere Reformen in Gang. Und während ich unter Aufbietung meiner ganzen Intelligenz den grundlegenden wissenschaftlichen Umwälzungen des Doktors zustimme, lassen sie mich manchesmal doch kalt. Die Frage, die in meinem Kopf kreist und wieder kreist, ist: Wie kann ich je genug Liebe und Wärme und Sonnenschein in diese grauen kleinen Leben bringen? Und ich bezweifle, daß die Wissenschaft des Doktors das schaffen wird.
    Eines unserer dringendsten vernünftigen Bedürfnisse ist gerade jetzt, unsere Register in Ordnung zu bringen. Die Bücher sind auf tolle Weise vernachlässigt worden. Mrs.Lippett hatte ein großes schwarzes Kontobuch, in das sie alle Tatsachen — über die Familie der Kinder, ihr Verhalten, ihre Gesundheit—, die ihr zufällig bekannt wurden, durcheinander eintrug; aber oft hat sie sich wochenlang nicht die Mühe gemacht, überhaupt etwas einzutragen. Wenn eine Familie, die ein Kind zu adoptieren wünscht, etwas über seine Eltern wissen will, können wir in der Hälfte der Fälle nicht einmal angeben, wo wir das Kind herhaben!
    „Woher kommst du denn, mein liebes Kind?“
    „Der blaue Himmel ging auf, hier bin ich geschwind“,
    ist eine genaue Beschreibung ihrer Ankunft.
    Wir brauchen dafür eine Fachkraft, die im Land umherreist und alle Erb-Statistiken aufsucht, welche über unsere Kücken zu finden sind. Das wird nicht schwer sein, weil die meisten Verwandte haben. Meinst Du, daß Jane Ware dafür geeignet wäre? Du erinnerst Dich sicher, was für ein Löwe sie in Nationalökonomie war; sie hat sich an Tafeln, Karten und Aufstellungen geradezu gemästet.
    Außerdem kann ich Dir mitteilen, daß das John-Grier-Heim gerade einer sehr genauen ärztlichen Untersuchung unterzogen wird, und es ist eine erschütternde Tatsache, daß von den achtundzwanzig kleinen Würmern, die bisher untersucht wurden, nur fünf dem Normalstand entsprechen. Und die fünf sind noch nicht lange hier.
    Erinnerst Du Dich an das häßliche Empfangszimmer im ersten Stock? Ich habe von seiner Grün-heit so viel wie möglich entfernt und es als Labor für
    den Doktor eingerichtet. Dort gibt es nun auch Waagen und Arzneien, und als Höhepunkt einen Zahnarztstuhl und eine von den lieben Bohrmaschinen (gebraucht gekauft von Dr. Brice im Dorf, der zur Freude seiner Patienten alles mit weißem Email und Vernickelung einrichtet). Die Bohrmaschine wird als Höllenmaschine angesehen und ich als Monster aus der Hölle, weil ich sie einrichten ließ. Aber jedes kleine Opfer, das plombiert herauskommt, darf eine Woche lang täglich in mein Zimmer kommen und erhält dann zwei Stück Schokolade. Obwohl unsere Kinder nicht auffallend mutig sind, sind sie, wie wir feststellten, Kämpfer. Der kleine Thomas Kehoe hat fast den Daumen des Doktors entzweigebissen, nachdem er vorher einen Tisch voller Instrumente umgestoßen hatte. Man braucht nicht nur zahnärztliches Können, sondern auch Körperkräfte, um Zahnarzt für das J.G.H. zu sein.

    *

    Wurde hier unterbrochen, um einer wohltätigen Dame die Anstalt zu zeigen. Sie hat fünfzig gegenstandslose Fragen gestellt, mich eine Stunde Zeit gekostet, und schließlich eine Träne aus dem Auge gewischt und einen Dollar für meine „armen Kleinen“ hinterlassen. Vorläufig sind meine armen Kleinen von den Neuerungen nicht begeistert. Sie haben für den plötzlichen frischen Luftzug, der auf sie hereinweht, wenig übrig, und ebensowenig für die Überschwemmung mit Wasser. Ich habe zwei Bäder die Woche eingeschoben, und sobald wir genug Badewannen und Wasserhähne gesammelt haben, werden wir sieben bekommen.

    Aber wenigstens habe ich eine Reform eingeführt, die beliebt ist.
    Unser täglicher Speisezettel ist erweitert worden, eine Änderung, die von der Köchin beklagt wird, weil sie Mühe macht, und von den übrigen Angestellten, weil sie unmoralisch viel Geld kostet. S P A R E N in großen Buchstaben war so viele Jahre lang der leitende Grundsatz dieser Anstalt, daß er zu einer Religion geworden ist. Ich versichere meinen ängstlichen Mitarbeitern zwanzigmal am Tag, daß unser Vermögen dank der Freigebigkeit unseres Präsidenten genau verdoppelt worden ist und daß ich außerdem von
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