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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
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erlaube ich mir, ein heiteres Maisgelb als Farbe für die Wände Ihres neuen Laboratoriums auszuwählen. Ich hoffe, daß Maisgelb nicht unhygienisch ist.
    Ferner möchte ich darum bitten, daß Sie, wenn Sie heute nachmittag einen Augenblick übrig haben, zu Dr. Brice in der Wasserstraße fahren und den Zahnarztstuhl mit Ausrüstung ansehen, der dort zum halben Preis zu haben wäre. Befänden sich alle die angenehmen Gegenstände seines Berufes hier — in einer Ecke Ihres Laboratoriums —, könnte Dr. Brice seine 111 neuen Patienten viel schneller erledigen, als wenn wir sie einzeln in die Wasserstraße befördern müssen. Halten Sie das nicht für eine gute Idee? Sie kam mir mitten in der Nacht, aber da ich noch nie in der Lage war, einen Zahnarztstuhl zu kaufen, wäre ich für einen fachmännischen Rat dankbar.
    Mit vorzüglicher Hochachtung!
    S. McBride.

    John-Grier-Heim,
    1. März.
    Liebe Judy,
    bitte höre doch auf, mir Telegramme zu schicken!
    Natürlich weiß ich, daß Du alles wissen willst, was passiert ist, und ich würde auch gern einen täglichen Bericht senden, aber ich habe einfach keine Minute übrig. Ich bin am Abend so müde, daß ich mit meinen Kleidern ins Bett ginge, wenn Jane’s strenge Disziplin das nicht verhinderte.
    Später, wenn wir ein wenig eingefahren sind und ich mich darauf verlassen kann, daß meine Assistenten alle ihre jeweiligen Aufgaben erfüllen, werde ich der regelmäßigste Korrespondent sein, den Du je gehabt hast.
    Habe ich Dir nicht vor fünf Tagen zum letztenmal geschrieben? In diesen fünf Tagen ist viel passiert. Dr. MacRae und ich haben einen Schlachtenplan ausgeheckt, und wir wühlen diesen Platz bis in seine versumpften Tiefen auf. Ich mag ihn immer weniger; aber wir haben eine Art von Arbeitswaffenstillstand geschlossen. Und der Mann kann arbeiten. Ich habe immer gedacht, ich hätte selbst genügend Energie, aber wenn eine Verbesserung eingeführt wird, renne ich außer Atem hinter ihm drein. Er ist so eigensinnig und zäh und bulldoggisch wie ein Schotte nur sein kann, doch kennt er sich mit kleinen Kindern aus, das heißt, er versteht ihre physiologischen Aspekte. Für sie persönlich hat er ebensowenig Gefühl wie für die Frösche, die er vielleicht gerade seziert.
    Erinnerst Du Dich, wie sich Jervis eines Abends etwa eine Stunde lang über die wunderschönen humanitären Ideale des Doktors ausließ? Daß ich nicht lache! Der Mann betrachtet das J.G.H. nur als sein Privatlaboratorium, wo er wissenschaftliche Experimente ausführen kann, ohne daß liebende Eltern Einspruch erheben. Es würde mich nicht im geringsten wundern, wenn er eines Tages Scharlachfieberkulturen im Morgenbrei einrühren würde, um ein neuerfundenes Serum auszuprobieren.
    Unter den Angestellten des Hauses sind nur zwei, die mir wirklich tüchtig Vorkommen, die Elementarschullehrerin und der Heizer. Du solltest mal sehen, wie die Kinder zu Miß Mathews laufen und um eine Zärtlichkeit betteln, und wie peinlich höflich sie gegen die anderen Lehrer sind. Kinder erfassen einen Charakter schnell. Sollten sie einmal zu mir zu höflich werden, würde mir das sehr ungemütlich sein.
    Sobald ich mich einigermaßen auskenne und genau weiß was wir brauchen, werde ich ein Entlassen großen Stils vornehmen. Ich würde gerne mit Miß Snaith anfangen, aber ich habe herausbekommen, daß sie die Nichte eines unserer freigiebigsten Aufsichtsräte ist und nicht einfach entlassen werden kann. Sie ist ein formloses, blaßäugiges Wesen ohne Kinn, spricht durch die Nase und atmet durch den Mund. Sie kann nichts entschieden sagen und dann -wieder aufhören; ihre Sätze laufen alle in ein unverständliches Gemurmel aus. So oft ich die Frau gehe, ergreift mich ein fast unwiderstehliches Verlangen, sie bei den Schultern zu nehmen und etwas Entschlossenheit in sie hineinzuschütteln. Und Miß Snaith hat die alleinige Aufsicht über siebzehn kleine Stöpsel von zwei bis fünf gehabt! Aber, wenn ich sie auch nicht entlassen kann, so habe ich sie doch in eine untergeordnete Stellung gebracht, ohne daß es ihr bewußt wird.
    Der Doktor hat ein reizendes Mädchen für mich gefunden, das ein paar Meilen entfernt lebt und jeden Tag für den Kindergarten kommt. Sie hat große, sanfte, braune Augen, wie die einer Kuh, und ein mütterliches Wesen (sie ist gerade neunzehn), und die Kleinen lieben sie. Die Leitung dieser Abteilung habe ich einer lustigen, gemütlichen Frau mittleren Alters übergeben, die selbst fünf eigene
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