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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
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ist der Grund — wenigstens einer der Gründe —, warum ich angefangen habe, Dich zu heben. Du bist eine ergreifende Figur eines Mannes, mein Lieber, und da Du Dir selbst das Leben nicht angenehm machen willst, muß man es Dir angenehm machen.
    Wir werden ein Haus am Hügel bauen, gerade über der Anstalt — was hältst Du von einer gelben italienischen Villa oder noch lieber einer rosanen?
    Jedenfalls wird sie nicht grün sein. Und sie wird kein Mansardendach haben. Und wir werden ein großes, heiteres Wohnzimmer haben, nur Kamin und Fenster und Aussicht und keine McGURK. Das arme, alte Ding! Was die für eine Laune haben wird, und Dir ein schlechtes Essen kochen, wenn sie die Nachricht erhält. Aber wir werden ihr noch lange nichts sagen, — und auch sonst niemand. Es ist zu schandbar unmittelbar nach meiner aufgehobenen Verlobung. Ich habe gestern abend an Judy geschrieben und mit nie dagewesener Selbstbeherrschung auch nicht die kleinste Andeutung gemacht. Ich werde noch selber schottisch! Vielleicht habe ich Dir nicht die genaue Wahrheit gesagt, Sandy, als ich sagte, ich hätte nicht gewußt, wie ich Dich liebe. Ich glaube, es ist mir gekommen in der Nacht, als das John-Grier brannte. Als Du unter dem flammenden Dach warst, und während der folgenden halben Stunde, als wir nicht wußten, ob Du leben würdest oder nicht, — ich kann Dir nicht sagen, was für Qualen ich da durchlitten habe. Ich hatte das Gefühl, wenn Du wirklich sterben solltest, daß ich das mein Lebtag nicht überwinden würde; daß ich irgendwie den besten Freund, den ich je hatte, dahinscheiden ließ mit der schrecklichen Kluft des Mißverstehens zwischen uns, — ja — und da konnte ich nicht auf den Augenblick warten, bis ich Dich sehen durfte und alles herausreden, was ich seit fünf Monaten in mich hineingepreßt habe. Und dann, — Du weißt, daß Du den strengen Befehl gegeben hast, mich auszuschließen; das hat mir fürchterlich weh getan. Wie konnte ich wissen, daß Du in Wirklichkeit mich viel lieber sehen wolltest als alle die anderen, und daß es das schreckliche schottische Moralgefühl war, das Dich zurückhielt? Du bist ein ausgezeichneter Schauspieler, Sandy. Aber, mein Lieber, wenn wir je im Leben das leiseste Wölkchen eines Mißverstehens haben, dann wollen wir uns doch versprechen, es nicht in uns einzusperren, sondern zu reden.
    Gestern Abend, nachdem sie alle fort waren — glücklicherweise früh, weil die Kinder ja nicht mehr zu Hause wohnen —, bin ich heraufgekommen und habe meinen Brief an Judy fertiggeschrieben. Und dann habe ich das Telephon angeschaut und mit der Versuchung gekämpft. Ich wollte die 505 anrufen und Dir Gutnacht sagen. Aber ich habe es nicht gewagt. Ich bin immer noch ganz anständig schüchtern! Dann habe ich, als Zweitbestes, wenn ich schon nicht mit Dir sprechen konnte, meinen Burns herausgeholt und eine Stunde lang gelesen. Ich bin eingeschlafen, als noch diese ganzen schottischen Liebeslieder in meinen Kopf herumgingen, und da bin ich nun bei Tagesanbruch und schreibe sie Dir.
    Djüs ok, mi leven Robinjung, ick häv di bannig lev.
    Sallie.

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