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Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
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Boden herumlaufen mußte, nicht einmal die Keuchhustenfälle.
    Es war helhchter Tag geworden, bevor das Feuer genügend gebändigt war, daß wir abschätzen konnten, was wir gerettet hatten. Ich habe zu berichten, daß mein Flügel ganz intakt ist, wenn auch etwas rauchig, ebenso ist der große Gang bis zur Haupttreppe fast in Ordnung; dahinter ist alles verkohlt und naß. Der Ostflügel ist eine schwarze, dachlose Schale. Deine verhaßte Abteilung F, liebe Judy, ist auf immer dahin. Ich wollte, Du könntest sie in Deinem Geist ebenso vollständig auslöschen, wie sie von der Erde ausgelöscht ist. Sowohl in der Materie wie im Geist ist das alte John-Grier erledigt.
    Ich habe nie in meinem Leben so viele komische Sachen gesehen wie in jener Nacht. Als alle Leute im äußersten Negligee waren, die meisten Männer in Schlafanzügen mit Überziehern, und alle ohne Kragen, zeigte sich der ehrenwerte Cyrus Wykoff angetan wie für eine Tee-Einladung. Er trug eine Krawattennadel mit einer Perle und weiße Gamaschen! Aber er war wirklich sehr hilfsbereit. Er stellte mir sein ganzes Haus zur Verfügung, und ich übergab ihm Miß Snaith in einem Zustand der Hysterie, ihre Nerven machten ihm so viel zu schaffen, daß er uns die ganze Nacht nicht in den Weg kam.
    Ich kann jetzt keine weiteren Einzelheiten schreiben. Ich war noch nie im Leben so gehetzt. Ich möchte Dir nur versichern, daß nicht der geringste Grund für Dich besteht, Deine Reise zu unterbrechen. Fünf Aufsichtsräte waren am Samstagfrüh zur Stelle, und wir arbeiten wie verrückt, um den Dingen einen Anschein von Ordnung zu geben. Unsere Anstalt ist zur Zeit über den ganzen Ort verstreut; Du darfst aber keine unnötige Sorge haben. Wir wissen, wo alle Kinder sind, keines ist auf Dauer verlegt. Ich habe nicht gewußt, daß vollkommen Fremde so gut sein können. Meine Meinung über das menschliche Geschlecht ist gestiegen.
    Den Doktor habe ich nicht gesehen. Sie haben aus New York einen Chirurgen hertelegrafiert, der sein Bein geschient hat. Der Bruch ist ziemlich bös und wird langsam heilen; sie glauben nicht, daß er interne Verletzungen hat, obwohl er sehr zusammengeschlagen ist. Sobald wir ihn besuchen dürfen, werde ich Näheres darüber schreiben. Ich muß wirklich aufhören, wenn der morgige Dampfer erreicht werden soll.
    Leb wohl. Beunruhige Dich nicht. Diese Wolke hat ein Dutzend Silberstreifen, über die ich morgen berichten werde.

    Sallie.

    Guter Himmel! Hier kommt ein Auto mit J. F. Bretland darin!

Das John-Grier-Heim,
    14. Januar.
    Liebe Judy!
    Jetzt hör zu! J. F. Bretland hat in einer New Yorker Zeitung etwas über unser Feuer gelesen (ich muß sagen, die Großstadt-Presse hat aus den Einzelheiten soviel wie nur möglich herausgeholt) und kam in bebender Sorge hier an. Seine erste Frage, als er über unsere geschwärzte Schwelle stolperte, war: „Ist Allegra heil?“
    „Ja“, sagte ich.
    „Gott sei Dank“, rief er und fiel in einen Stuhl. „Dies ist kein Platz für Kinder“, sagte er streng, „und ich bin gekommen, um sie heimzuholen. Und die Buben nehme ich auch mit“, fügte er hastig hinzu, bevor ich Gelegenheit hatte zu sprechen. „Meine Frau und ich haben es überlegt und beschlossen, daß wir uns die Mühe, ein Kinderzimmer einzurichten, ebensogut für drei wie für eins machen können.“
    Ich führte ihn in meine Bibliothek, wo unsere kleine Familie seit dem Feuer wohnt, und zehn Minuten später, als ich gerufen wurde um mit den Aufsichtsräten zu verhandeln, hinterließ ich J. F. Bretland mit seiner neuen Tochter auf den Knien und einem Sohn gegen jeden seiner Arme gelehnt als den stolzesten Vater in den Vereinigten Staaten.
    Du siehst also, daß unser Feuer eins fertiggebracht hat: diese drei Kinder sind fürs Leben versorgt. Das wiegt fast den Verlust auf.
    Aber ich glaube, ich habe noch gar nicht erzählt, wie das Feuer zustande kam. Es gibt so viele Dinge, die ich nicht erzählt habe, daß mein Arm weh tut, wenn ich dran denke, sie alle noch schreiben zu müssen. Sterry hat, wie wir inzwischen entdeckt haben, das Wochenende als unser Gast verbracht. Nach einem alkoholfreudigen Abend, den er bei „Jack’s Place“ verbracht hatte, kehrte er zu unserer Wagenremise zurück, stieg durch ein Fenster ein, zündete eine Kerze an, machte es sich bequem und schlief ein. Er muß vergessen haben, die Kerze auszulöschen; jedenfalls, das Feuer ereignete sich, und Sterry ist knapp mit dem Leben davongekommen. Er ist jetzt im Spital
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