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Reise in die Unterwelt

Reise in die Unterwelt

Titel: Reise in die Unterwelt
Autoren: Michael Shea
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1. Cugel der Schlaue
     
    Cugel der Schlaue stand am Strand und starrte hinaus auf das Meer, auf dem sich der letzte blutrote Schein der sterbenden Sonne spiegelte. Diesmal, sagte er sich, würde er nicht die Landroute nehmen, sondern die See von Cutz bis zu ihrer Südküste überqueren und sich von da aus nach Almery auf den Weg machen. Und wenn er dort ankam, würde er Iucounu, den Lachenden Magier, töten.
    Als er das letztemal von hier nach Almery reiste, hatte er viele Monate gebraucht. Vielleicht war der Seeweg schneller – noch gefährlicher konnte er gewiß nicht sein.
    Er drehte dem Stand den Rücken, um einen Unterschlupf für die Nacht zu suchen, und fand auch ziemlich schnell eine Mulde, die ringsum von Wolfsmilchsträuchern und wildem Hanf geschützt war. Er gestattete sich kein Feuer, denn das würde seine Anwesenheit verraten, und fror deshalb entsetzlich auf seinem unbequemen steinernen Lager. Das empfand er als doppelt unangenehm, denn vor wenigen Tagen noch hatte er in Iucounus weichem Bett geschlafen – und war Herr über das stattliche Landhaus des Lachenden Magiers gewesen.
    Cugel stieß einen wilden Fluch aus. Es verbesserte seine Laune auch nicht, als er daran dachte, daß nicht Iucounu ihn hierher versetzt hatte, sondern er durch sein eigenes Versehen ein zweites Mal in dieser trostlosen Öde gelandet war. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, als Cugel den Magier das letztemal gesehen hatte, war dieser in keiner Lage gewesen, irgend jemanden irgendwohin zu befördern, und war völlig auf Cugels Gnade angewiesen. Nein, diese Überlegung machte es wirklich nicht besser. Denn hätte Iucounu ihn nicht damals hierher verbannt, wäre er, Cugel, nach seiner so schwierigen Rückkehr nach Almery, gar nicht auf die Idee gekommen, sich an dem Magier zu rächen, indem er ihn seinerseits hierher versetzen wollte. Und da ein falsch ausgesprochenes Wort der Beschwörungsformel während seines Racheversuchs ihn, statt Iucounu, hierher zurückbrachte, war ohne alle Zweifel doch der Lachende Magier schuld an dem Ganzen. Also mußte er sich nun doppelt an ihm rächen! So, jedenfalls, war sein Gedankengang.
    Morgen würde er ein Floß bauen, und vielleicht war er schneller zurück, als der Magier ihn erwartete, wenn er überhaupt mit seiner Rückkehr rechnete. Natürlich war mit Iucounu nicht zu spaßen, aber mit dem Überraschungsmoment konnte er ihn vermutlich überwältigen. Nicht umsonst nannte man ihn schließlich Cugel, den Schlauen.
     
    Mumber Sull war Than des Fischerstädtchens Icthyll an der Südküste der See von Cutz, so wie sein Vater und seine Vorväter vor ihm. Wie sie es schon jeden Tag getan hatten, kletterte er am frühen Morgen die Steintreppe an den Klippen hoch. Er hatte sich mit der aufgehenden Sonne erhoben und gefrühstückt, dann war er diese selben Stufen hinuntergestiegen, um im Hafen nach dem Rechten zu sehen. Jetzt kehrte er zu den steinernen Bauten Icthylls hoch oben auf den Klippen zurück, wo er als nächste Amtshandlung die Stadttaverne aufschließen würde. Hier saßen täglich die Ratsherrn bis zum Sonnenuntergang zusammen, um sich über die Bedeutung des Lebens zu unterhalten und um Skubba zu spielen. Erwartungsvoll tätschelte Sull den Lederbeutel mit Skubbastücken an seinem Gürtel. Es handelte sich dabei um kunstvoll gearbeitete Edelsteine von großem Wert, die ihm, dem Hafenthan, bei seiner Amtseinführung zu treuen Händen übergeben worden waren.
    Als er sich der Taverne näherte, wartete bereits die übliche Gruppe der Ratsherrn vor der Tür. Aber diesmal waren sie nicht allein. Eine ungewöhnliche Menschenmenge – Fischer, Frauen und Kinder –, die ganze Stadt drängte sich offenbar auf dem Platz zusammen. Doch ihr Interesse galt nicht der Taverne. Sie starrten gerade in die entgegengesetzte Richtung.
    Zwei Trolle – mit weißer Haut und jeder gut vier Meter fünfzig groß – stapelten Steine auf einen Haufen. Die Steine rissen sie aus den nächstliegenden Häusern und aus dem Pflaster. Ein prunkvoll gekleideter Fremder beobachtete sowohl sie als auch die gaffenden Städter mit gleichgültiger Miene. Hin und wieder rief er den Trollen einen Befehl zu. Mumber Sull schritt auf ihn zu.
    »Wer seid Ihr? Unterstehen Euch diese vandalischen Kreaturen? Sie müssen sofort einhalten!«
    Der Fremde hob die Brauen und spielte mit einer Quaste, die von seinem Kragen baumelte. »Natürlich bin ich zu Erklärungen bereit«, sagte er mit gedehnter Stimme. »Meine Arbeiter
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