Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lieber Feind

Lieber Feind

Titel: Lieber Feind
Autoren: Jean Webster
Vom Netzwerk:
ganz unparteiisch abwechselnd „Katholisch“ und „Protestantisch“ gemacht werden. Unsere Sadie wurde, trotz ihrem Namen und ihren irischen blauen Augen, zu einem Protestanten gemacht. Und nun wird sie von Tag zu Tag irischer, aber getreu ihrer Taufe protestiert sie laut gegen jede Einzelheit ihres Lebens.
    Ihre zwei kleinen schwarzen Zöpfe zeigen in verschiedene Richtungen, ihr kleines Affengesicht ist voller Teufeleien; sie ist so aktiv wie ein Terrier, und man muß sie immerzu beschäftigen. Die Geschichte ihrer Untaten nimmt viele Seiten im Buche des Jüngsten Gerichtes ein. Der letzte Eintrag lautet: „Weil sie Magrettie Geer so anstieß, daß diese einen Türknopf in den Mund bekam — Strafe, ein Nachmittag im Bett und trockene Kekse als Abendbrot“.
    Es scheint, daß Magrettie Geer, die mit einem Mund von ungewöhnlicher Dehnbarkeit ausgestattet ist, den Türknopf zwar in den Mund bekam, aber nicht mehr heraus. Der Doktor wurde zu Hilfe gerufen und löste das Problem schlau mit einem butterbeschmierten Schuhlöffel. „Rettel mit dem Riesenmund“ heißt die Patientin seitdem bei ihm. Du kannst Dir also vorstellen, daß meine Gedanken angstvoll damit beschäftigt sind, jeden freien Augenblick von Sadie Kates Dasein auszufüllen.
    Eigentlich hätte ich mit dem Präsidenten eine Million Fragen zu klären. Ich finde es sehr unfreundlich, daß Du und er mir Euer Waisenhaus in den Schoß gelegt habt und Ihr selbst südwärts gezogen seid, um Euch zu verlustieren. Es würde Euch recht geschehen, wenn ich alles falsch machte. Während Ihr im Privatwagen umherreist und Euch im Mondlicht am Palmstrand ergeht, denkt bitte an mich im Regen eines New Yorker März, die ich mich um 113 Kinder kümmere, welche von Rechts wegen Euch gehören — und seid dankbar.
    Ich verbleibe (für beschränkte Zeit)
    S. McBride.

Leiterin des John-Grier-Heims.
    Lieber Feind!
    Ich sende hiermit gesondert Sammy Speir, der zur Zeit Ihres Morgenbesuches verlegt worden war. Miß Snaith brachte ihn ans Licht, nachdem Sie gegangen waren. Bitte untersuchen Sie seinen Daumen. Ich habe nie ein Fingernagelgeschwür gesehen, aber ich habe es als solches diagnostiziert.
    In vorzüglicher Hochachtung
    S. McBride.

    Vorsteherin des John-Grier-Heims,
    6. März.
    Liebe Judy!
    Ob die Kinder mich lieben werden oder nicht, weiß ich noch nicht, aber daß sie meinen Hund lieben, ist sicher. Noch nie ist ein Wesen durch diese Tore gekommen, das so beliebt ist wie Singapur. Jeden Nachmittag dürfen drei Buben, deren Benehmen tadellos war, ihn bürsten und kämmen, während drei andere ihm sein Futter und zu trinken darbieten dürfen. Aber der Höhepunkt jeder Woche ist am Sonntagmorgen erreicht, wenn drei überwältigend artige Buben ihm ein schönes schäumendes Bad mit heißem Wasser und Flohseife geben. Das Privileg, Singapur bedienen zu dürfen, wird der einzige Ansporn sein, den ich brauche, um die Disziplin aufrechtzuerhalten.
    Aber ist es nicht traurig und unnatürlich, daß diese Kinder auf dem Land leben und nie selber ein Tier besaßen? Gerade weil sie mehr als alle anderen
    Kinder etwas brauchen, was sie lieben können. Irgendwie werde ich Tiere für sie aufbringen, und

    wenn ich unser zusätzliches Vermögen für eine Menagerie ausgeben müßte. Könntest Du nicht ein paar junge Alligatoren und einen Pelikan mitbringen? Alles, was lebt, wird dankbar entgegengenommen.
    Eigentlich wäre heute mein erster Aufsichtsratstag. Ich bin Jervis tief dankbar dafür, daß er nur eine Geschäftssitzung in New York angesetzt hat; denn noch sind wir zur Parade nicht bereit. Aber wir hoffen, daß wir bis zum ersten Mittwoch im April etwas Sichtbares vorweisen können. Sofern alle Ideen des Doktors und sogar ein paar von mir sich verwirklichen lassen, werden unsere Aufsichtsräte die Augen ein wenig aufreißen, wenn wir sie herumführen.
    Ich habe gerade eine Aufstellung der Mahlzeiten für die nächste Woche gemacht und sie in der Küche in der Blickrichtung der beleidigten Köchin aufgehängt. Abwechslung ist ein Wort, das bisher im Lexikon des J.G.H. nicht vorkam. Nicht einmal im Traum kannst Du Dir die Überraschungen, die wir haben werden, vorstellen: braunes Brot, Kukuruze, Grahamküchle, indianischen Maisbrei, Reispudding mit vielen Rosinen, dicke Gemüsesuppe, Makkaroni auf italienische Art, Polentakuchen mit Melasse, Apfelküchle, Ingwerbrot, — oh, eine endlose Liste! Nachdem unsere größeren Mädchen geholfen haben, so appetitanregende
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher