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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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nachgedacht. Er muss auf schnellstem Weg nach Utar zum Heerführer gebracht werden. Natürlich wird er nicht in die großen Geheimnisse eingeweiht sein, ich meine, er war dreizehn, als der Krieg begann! Dennoch, auch als jüngster Sohn wird er viele wichtige Details kennen, die womöglich die Wende in diesem gottverdammten Krieg bringen können.“
    Krazon winkte ihn zu dem Tisch, an dem er bislang gestanden hatte.
    „Es darf niemand erfahren, wer er ist. Ich schlage vor, dass wir das Gerücht streuen, er sei der Neffe einer der drei hochrangigen Feldherrn. Das klingt bedeutsam genug, um die Neugier der Männer zu befriedigen und Ihre unbeherrschte Reaktion zu erklären, meinen Sie nicht, Kommandant?“
    Krazon nickte sofort.
    „Ja, ein guter Gedanke. Schauen Sie hier, Geron: Sobald der Junge transportfähig ist, bringen wir ihn auf eines der Schiffe. Über die Tibba können Sie innerhalb von drei Tagen zum Hauptstützpunkt gelangen und von dort aus nach Utar weiterreisen.“ Er tippte auf den Fluss, der in der Nähe des Lagers verlief und einer der wichtigsten Versorgungswege für die Grenzregionen darstellte.
    Geron zuckte nachlässig die Schultern.
    „Ausschlafen kann er sich auf dem Schiff genauso gut wie bei uns im Lager. Wann kommt der nächste Transport?“
    „Übermorgen bei Sonnenaufgang, wenn alles nach Plan läuft.“
    Sie nicken einander zu. Weitere Einzelheiten konnten sie bei Tageslicht besprechen, es war spät. Zwar hasste Geron den Gedanken, zurück in sein Zelt zu müssen, und an Schlaf war heute Nacht nicht mehr zu denken. Doch es würde nicht besser werden, wenn er den Moment künstlich aufschob, darum wünschte er dem Kommandanten eine ruhige Nacht und verließ das Zelt. Er begrüßte die Sturmböen, die ihn mit kaltem Nieselregen empfingen. Es fühlte sich richtig an, dass die Elemente genauso aufgewühlt waren wie er selbst.

    Er hatte Ewigkeiten gebraucht, nur um sich von dem Sattel herabzurollen. Die Schmerzen waren so intensiv, dass Ninosh mehrmals das Bewusstsein verlor. Die Flasche mit dem Trank stand kaum zwei Armlängen von ihm entfernt, in einer Erdmulde neben der Plane, die nicht den gesamten Boden abdeckte.
    Sie hätte auch am anderen Ende der Welt sein können. Mittlerweile war er in Schweiß gebadet und Gott allein mochte wissen, wie viel Zeit es gekostet hatte, sich heranzurobben. Er konnte an nichts anderes mehr denken, als diese Flasche zu erreichen. Ein kräftiger Schluck würde ihm Schmerzfreiheit und Schlaf schenken, mehrere Stunden lang sogar. Vielleicht würde er auch alles trinken und niemals wieder erwachen.
    Nur noch ein winziges bisschen mehr, mittlerweile konnte er das Glas bereits mit den Fingerkuppen berühren. Ninosh atmete so tief durch, wie die Flammen in seiner Brust es erlaubten und schob sich noch einmal voran. Geschafft! Seine Hand schloss sich um die Flasche. Erleichterung und Triumph breiteten sich warm aus. Jetzt musste er sie vorsichtig zu sich heranziehen und …
    In dem Moment entglitt die Flasche seinen zitternden Fingern und kippte um. Hilflos musste Ninosh mit ansehen, wie der nachlässig aufgesetzte Korken herausfiel und die kostbare Medizin im Erdboden versickerte. Beim Versuch, wenigstens ein bisschen zu retten, stieß er ungeschickt gegen die Flasche, die daraufhin von ihm wegrollte.
    Der Laut, der über seine Lippen kam – Schluchzen, wütender Aufschrei und verzweifelter Hilferuf zugleich – erschreckte Ninosh selbst. Er wusste, niemand würde kommen, um ihm zu helfen. Jetzt nicht mehr, nachdem sein einziger Beschützer erfahren hatte, wer er wirklich war. Ninosh war von Feinden umgeben, sein Leben nichts mehr wert. Hätte er die Kraft, würde er versuchen sich umzubringen. So konnte er nichts tun als warten. Warten, welcher Folter man ihn unterziehen, auf welche Weise man ihn hinrichten würde.
    Ninosh schloss die Augen. Er war verloren.

    Geron betrachtete mit gefurchter Stirn das Bild, das sich ihm bot, als er in sein Zelt zurückkehrte. Ninosh lag verkrümmt auf dem Boden, den Arm nach der leeren Flasche ausgestreckt. Er schien bewusstlos zu sein, jedenfalls regte er sich nicht, als Geron sich zu ihm kniete. Egal wie sehr er sich dagegen wehrte, er hatte Mitleid mit dem jungen Mann, der nackt und zerschlagen dalag, jeglicher Würde beraubt. Viel behutsamer als er eigentlich wollte drehte er Ninosh auf den Rücken, schob ihm die Arme unter Nacken und Kniekehlen und hob ihn zurück zu der Bettstatt, den Oberköper auf dem Sattel
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