L(i)ebenswert (German Edition)
zurück, die klamm und steif waren, doch wenigstens passten sie.
Solchermaßen gestärkt schaffte er es sogar, nicht vor Schmerz zu brüllen, als zwei fremde Soldaten erschienen und ihn zum Laderaum des Schiffes schleiften.
Die Haltung, zu der er jetzt gezwungen war, würde er nicht lange ertragen können. Ninosh konnte sich nicht hinlegen, er musste zusammengekauert sitzen. Seine Hände waren bereits nach wenigen Minuten taub geworden, was er sich für den Rest seines Körpers auch sehnlichst wünschte. Ihm war schlecht und schwindelig und unglaublich elend zumute. Das Gute war eben, dass er sich hier allein und außer Hörweite der Soldaten befand. Inmitten von Fässern, Kisten und Säcken konnte er weinen, schreien, fluchen, jammern, wimmern, stöhnen, soviel und so lange er wollte. Oder konnte.
Herr, lass es vorbei gehen …
Geron hatte sich stundenlang beherrscht. Er begleitete den Gefangenen und seine Leute akzeptierten, dass nur er ihn verpflegen würde. Die Spekulationen, mit welchem vjalachanischen Heerführer der junge Mann wohl verwandt sein könnte und ob er tatsächlich bloß ein Neffe oder vielleicht doch ein Sohn war, hielten die Soldaten beschäftigt. Niemand sollte denken, dass er sich tatsächlich um das Wohlergehen dieses Mannes sorgte. Er wollte sich diesen Gedanken ja kaum vor sich selbst eingestehen! Darum war er in seiner Kabine geblieben, die er ganz für sich allein hatte, wie es seinem Rang entsprach, hatte mit dem Kapitän gesprochen, mit seinen Männern, hatte etwas gegessen …
Erst am späten Nachmittag stieg er in den Laderaum hinunter, um zu sehen, wie Ninosh die bisherige Fahrt überstanden hatte.
Alles war still, als er mit seiner Laterne am Fuß der Leiter angekommen war und versuchte, den Gefangenen zwischen all den Kisten zu finden.
Er entdeckte ihn in der hintersten Ecke, viel zu harsch gefesselt, besinnungslos, in eine zusammengekrümmte Haltung gezwungen, in der er wohl kaum atmen konnte.
Gleichgültig, was dieser Mann getan haben mochte, zu welchen Verbrechen sein Vater ihn aufgestachelt hatte – Geron war sich sehr bewusst, dass er darüber bislang noch gar nichts erfahren hatte – kein Lebewesen sollte dermaßen leiden müssen. Er schnitt ihn los, legte ihn vorsichtig auf den Planken ab, die hier unten nass und schlüpfrig vom Flusswasser waren. Das missfiel ihm, darum zog er einen Stapel leerer Säcke heran, auf dem er den jungen Mann seitlich lagerte, dort, wo die Rippen lediglich geprellt waren. Ninosh gab keinen Laut von sich und für einen Moment war Geron überzeugt, dass der Mann tot sein musste. Erlöst. Doch er atmete, sein Herz schlug kräftig, er bewegte sich sogar leicht unter Gerons Händen. Am liebsten hätte er ihn frei belassen, das würde er allerdings seinen Männern nicht erklären können, die gelegentlich in den Laderaum hinabstiegen. Nach kurzem Überlegen band er Ninoshs Arme auf den Rücken, ohne die Stricke durch den Eisenring zu ziehen, an dem der Gefangene zuvor gehangen hatte. Er ließ die Fesseln recht locker, um ihm etwas Bewegungsfreiheit zu lassen und weitere Verletzungen zu vermeiden. Eine Weile blieb er neben ihm sitzen, in der Hoffnung, dass Ninosh aufwachen würde. Der Mann brauchte Wasser, Geron brauchte Antworten. Er hatte eine neue Flasche von dem Schmerztrank dabei und war bereit, Ninosh das Mittel zu geben. Im Lager hatte er das nicht gewagt, es wäre womöglich nicht unbemerkt geblieben. Krazon hatte deutlich gemacht, dass der Gefangene nicht von ihnen verhört werden durfte. Verhören wollte Geron ihn auch nicht. Die Kriegsgeheimnisse waren ihm mehr oder weniger gleichgültig. Was Ninoshs Vergangenheit betraf, da kannte seine Neugier hingegen keine Grenzen.
Als auch behutsames Rütteln nicht half, den Gefangenen zu wecken, ließ Geron ihn schließlich allein zurück. Heute Nacht würde er es wieder versuchen, ihnen blieb noch genug Zeit, bevor sie ihr Ziel erreichten.
Rauchgestank weckte Ninosh auf. Er hatte zum ersten Mal seit Tagen das Gefühl, sich ein wenig erholt zu haben, der Erschöpfungsschlaf war hilfreich gewesen. Dass er nicht mehr aufrecht gefesselt war, sondern auf Säcken lag, bemerkte er erst nach einer Weile. Ob das Geron gewesen war?
Erneut stieg ihm Rauch in die Nase. Zu stark, um von einem Kochfeuer zu stammen. Als er der trampelnden Schritte auf dem Deck über ihm gewahr wurde, sowie fernes Geschrei, fuhr er ruckartig in die Höhe. Sein geschwächter Körper brach augenblicklich zusammen, ihm wurde
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