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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt
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übel von der Schmerzwelle, die von jeder einzelnen Faser ausgesandt wurde, für einen Moment wurde alles schwarz. Das erinnerte ihn daran, dass unten im Lagerraum beständige Dunkelheit herrschen sollte, unabhängig von der Tageszeit. Ninosh vergaß jeden Schmerz, sobald er begriff, dass die plötzlich vorhandene Lichtquelle keineswegs von einer Laterne stammte, sondern von Flammen, die sich durch eine der Seitenluken gefressen hatten. Das Feuer, es war bereits hier! Hatte er zuvor kaum den Kopf heben können, gehorchten seine Muskeln in der Panik ohne Widerstand.
    Ohne bewusst zu denken steuerten seine Füße ihn zur Leiter, die nach oben führte. Seine auf den Rücken gefesselten Hände behinderten ihn, dennoch trug die Todesangst ihn die Sprossen hinauf. Da er die Hände nicht frei hatte, um die Holzluke zu öffnen, stemmte er sich mit dem Rücken dagegen. Die Leiter schwankte bedrohlich, Ninosh brüllte vor Entsetzen, als er fast gestürzt wäre. Dabei atmete er Rauch ein, der den kleinen Laderaum immer stärker erfüllte. Hustend kämpfte er um sein Gleichgewicht und gegen diese Luke, die sich zwar öffnete – gepriesen sei der Herr, sie war nicht abgeschlossen! – doch er schaffte es nicht, sie weit genug aufzudrücken, um ins Freie zu entkommen. Der Kraftschub, den die Panik ihm beschert hatte, verebbte. Er würde es nicht schaffen!
    Plötzlich schwang die Luke beiseite. Grobe Hände packten Ninosh und zerrten ihn an Deck, bevor die Luke wieder zugeworfen wurde. Keinen Moment zu spät: Ninosh spürte die Hitze, als eine Stichflamme von unten gegen das Holz brandete, zweifellos von der Luft angezogen. Hustend blieb er einen Herzschlag lang liegen, versuchte sich zu orientieren und zugleich auf die Beine zu kommen. Noch immer trieb ihn die Todesangst, denn auch hier oben fand er sich von Flammen umgeben.
    Ein alter Mann mit zotteligen Haaren, bekleidet mit dem rauen Leinenstoff, der bei Matrosen üblich war, zog ihn hoch und schrie:
    „Mach, dass du von Bord kommst! Die Kombüse – das Öl – das Feuer ist nicht zu löschen!“
    Er schubste ihn von sich und verschwand.
    Panisch starrte Ninosh auf das wild schaukelnde Schiff, auf den reißenden Strom der Tibba, auf die wenigen verbliebenen, schreiend durcheinander rennenden Männer. Wo sollte er hin? Das Feuer erhellte die Nacht und enthüllte den schrecklichen Anblick von toten oder schwer verwundeten Menschen, die mit schwarz verbrannter, blasenschlagender Haut auf den Planken lagen. Die Flammen schlugen bis hoch in den Himmel, die Funken wetteiferten mit den Sternen um Schönheit. Seltsam, wie laut es war … Ninosh hatte nie daran geglaubt, dass Feuer eine eigene Seele besitzen sollte, wie seine Mutter ihm immer erzählt hatte. Sie hatte das Herdfeuer wie eine Gottheit verehrt und sich nicht darum geschert, dass man sie deshalb heimlich als eine Hexe geschimpft hatte. Doch in diesem Augenblick, als er wie gebannt dastand und zusehen musste, wie die Flammen wüteten, sich ausgehungert über das Schiff hermachten und dabei alles fraßen, was sich ihnen in den Weg stellte, gleichgültig ob Mensch oder totes Holz – in diesem Augenblick war ihm, als würde er die Seele des Feuers erkennen. Eine gnadenlose, grausame und höchst zornige Seele …
    Erbärmliche Hilfeschreie rissen Ninosh aus seiner Erstarrung. Das Feuer war bereits überall, angefacht von Sturmwinden breitete es sich rasend schnell aus. Die Hilferufe kamen vom Wasser; sie verstummten rasch. Die wenigsten Soldaten konnten schwimmen, die Tibba war ein tückischer Fluss, zudem war es dunkel.
    Die Angst, die einen fiebrigen Atemzug lang verschwunden gewesen war, kehrte mit aller Macht zurück. Weg, er musste weg! Die Hitze war bereits kaum noch erträglich, die Flammen würden ihn bald vollständig eingeschlossen haben. Aber wohin sollte er fliehen? Ninoshs Arme waren nach wie vor auf den Rücken gefesselt, da half es wenig, dass er ein sehr guter Schwimmer war.
    Feuer oder Wasser? Welcher Tod würde rascher und schmerzloser vonstatten gehen?
    Ninosh schrie auf, als Funken seinen Hals trafen und ihn verbrannten. Kopflos rannte er voran, prallte mit der Hüfte gegen die Reling, schrie gellend, während er stürzte, bis eisige Fluten über seinem Kopf zusammenschlugen. Sofort erfasste ihn die Strömung und riss ihn fort. Er strampelte, trat Wasser, kämpfte sich zurück an die Oberfläche. Ihm blieb Zeit für einen viel zu kurzen Atemzug, dann versank er wieder. Gleichgültig wie heftig er an

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