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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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über den schlanken Körper, der mittlerweile still in seinen Armen lag. Über dem Herzen verharrte er, lauschte dem kräftigen Schlag, erkundete mit allen Sinnen diese jugendliche Seele.
    „Du hast großes Talent in dir“, flüsterte er. „Der Schöpfer erwartet mehr von dir, als nur ein Gefäß zu sein, in das Männer abspritzen können. Lass mich deine Stimme hören. Sprich mit mir.“
    Einzig die hektischen Atemzüge des Jungen antworteten ihm.
    „Bist du plötzlich stumm geworden? Komm, rede mit mir. Du hast ja keine Ahnung, wie lange es her ist, dass ich mit jemandem sprechen konnte.“
    Angst! Da war viel zu viel Angst in diesem furchterstarrtem Körper. Befürchtete der Bursche etwa, dass er ihm etwas antun wollte? Vielleicht sollte er ihn besser loslassen? Vorsichtig ließ er den Jungen aus seinen Armen gleiten, hielt ihn allerdings am Handgelenk fest.
    „Sprich doch“, flehte er, begierig endlich eine andere Stimme zu hören, als die des Kerkermeisters, wenn der irgendeinen Fraß brachte oder in einem Anflug von Großmut den Jaucheeimer leerte.
    „Was … was wollen Sie hören?“
    Kaum mehr als ein Hauch, aber es war menschliche Sprache! Thars wischte sich mit der freien Hand über das Gesicht, als seine Augen plötzlich feucht wurden.
    „Fangen wir mit deinem Namen an, mein Süßer.“
    „Ich heiße …“ Der Junge räusperte sich und fuhr dann etwas lauter fort: „Ich heiße Cyrian.“
    Ein großer Name, ein starker Name. Ja, Brudfor hatte ohne Zweifel noch Großes mit dem Jungen vor. Cyrian versuchte zaghaft sein Handgelenk zu befreien, woraufhin er den Griff festigte. Sofort stellte der Junge die Bemühungen ein. Der Geruch nach Angst verstärkte sich wieder.
    „Fürchte dich nicht, Junge. Ich werde dir kein Leid zufügen. Welche Jahreszeit haben wir da draußen?“, fragte Thars weiter.
    „Frühling, Herr. Es ist Frühling draußen. Sie müssen jetzt seit sieben Monaten hier sein.“
    Er hörte, wie Cyrian erschrocken nach Luft schnappte. Sicherlich hatte ihn der Junge nicht an sein Schicksal erinnern und damit verärgern wollen.
    „Ja“, flüsterte er. „Sieben Monate. Monate ohne frische Luft, dem Wind in den Haaren und ohne ein freundliches Gesicht. Und warum? Weil sie sich nicht trauen, mich hinzurichten.“
    Thars spürte regelrecht, wie sich der Junge bei seinen Worten verkrampfte. Verdammt! Er hätte nicht anfangen sollen, über seine Hinrichtung zu reden.
    „Hab keine Furcht, Cyrian. Dir droht von mir keine Gefahr. Rück ein Stück näher, mein Süßer, und lass mich ein wenig an deiner Unschuld teilhaben.“
    Cyrian lachte verbittert auf. „Unschuldig bin ich wohl kaum.“
    „Du hast eine reine Seele. Das ist selten“, flüsterte Thars. Der Junge schwieg dazu, schien sich jedoch ein Herz zu fassen und näherte sich tatsächlich etwas an. Erst in diesem Moment wagte Thars, sein Handgelenk freizugeben. Unbeschreiblich, wie sehr er die Nähe dieses Jungen genoss.
    „Wie … wie kann ich Ihnen zu Diensten sein, Herr?“, wollte Cyrian zaghaft wissen. Nun bot sich ihm dieses Unschuldslamm auch noch an. Thars schüttelte den Kopf. Zottiges Haar fiel ihm dabei ins Gesicht, er strich es ärgerlich fort.
    Vor sieben Monaten war er ein gepflegter Mann gewesen. Heute begeisterte er sich an einem Stück schimmligen Brotes. Es war schon erstaunlich wie sich Prioritäten verschieben konnten.
    „Du bist nicht hier, um mich zu erfreuen, Cyrian. Oder magst du von einem ungewaschenen, stinkenden und verlausten Kerl bestiegen werden? Bah! Ich kann selbst riechen, was für Dreck an mir klebt.“
    „Weswegen haben sie mich denn dann geholt?“
    „Es hat mal eine Zeit gegeben, in der ich in aller Bequemlichkeit gelebt habe. In der mir Schönheiten, wie du eine bist, hinterhergelaufen sind. Sorgenfreie Tage …“ Thars verstummte, würgte an der Bitterkeit, die in ihm aufstieg und versuchte, nicht an seinem Hass zu ersticken. Hass gegenüber denjenigen, die ihn hier wie ein wildes Tier eingesperrt hatten. Er schnaubte wütend. Wahrlich! Zu einem Tier hatten sie ihn gemacht.
    „Sie wollen mich mit der Erinnerung an diese Zeiten quälen. Deswegen bist du hier, Süßer.“ Er streckte die Hand aus und ließ sie über Cyrians weiche Haut gleiten. Der Junge zuckte zusammen und sein Atem beschleunigte sich. Er hatte noch immer Angst, war aber zumindest nicht mehr panisch.
    „Kannst du singen, Cyrian?“, fragte er leise. „Ich würde dich gern singen hören. Du hast eine angenehme, warme
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