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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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selbst der standhafteste Zecher bereits nach einem Becher Wein volltrunken wurde. Ninosh hatte ursprünglich gehofft, damit den Söldnern entfliehen zu können, doch die Sorge um seine Freunde und Kameraden hatten ihn zurückgehalten. Jetzt sollte es ihm helfen, diesen Männern zu entfliehen, die sich Vater und Brüder schimpften. Wären sie tatsächlich blutgierige Bestien, die im Laufe des Krieges Verstand und Menschlichkeit verloren hatten, hätte ihn das weniger entsetzt als die Wirklichkeit. Zu wissen, dass hunderte Unschuldige sterben mussten, um irgendwelche Feinde einzuschüchtern, dass ihr Tod als bloße Kriegstaktik bezeichnet wurde … Dass ihre Mörder nichts empfanden, keine Reue, keinen Stolz, keine Befriedigung, nichts! – so als wäre ein Satz Porzellan zerschlagen worden, zwar teuer, aber kein Verlust …

    „Es ist gut, Ninosh.“ Erschrocken fuhr er zusammen, als er mit einem Ruck in der Gegenwart landete, wo er schluchzend an Gerons Schulter lag.
    „Ich wollte einfach nur weg“, stammelte er. „Als sie allerdings lallend von den Stühlen fielen, da wusste ich auf einmal, dass es meine Pflicht war, sie aufzuhalten. Darum habe ich das Brotmesser genommen und einen nach dem anderen abgeschlachtet … Mein Vater war nicht betrunken, er hat vielleicht etwas geahnt. Da er mit seinen gelähmten Beinen nicht fortlaufen konnte, wartete er ruhig, bis ich mich ihm zuwandte. ‚Bring es zu Ende’ hat er gesagt, sonst nichts, die Arme ausgebreitet und seinen Hals dargeboten. Er lächelte, bis ich ihm die Kehle aufgeschlitzt hatte.“
    Zitternd und bebend blieb Ninosh in Gerons Armen liegen, auch nachdem die Tränen längst versiegt waren.
    „Was geschah dann?“, fragte Geron behutsam.
    „Ich bin geblieben, wo ich war, umgeben von Leichen, mit dem Messer in der Hand, in Blut gebadet. Ich war bereit, für meine Tat hingerichtet zu werden. Es schien gerecht, ich hatte es verdient. Irgendwann kamen Leute. Niemand schrie, das weiß ich noch, weil es mich gewundert hat. Das meiste andere ist von Nebel überdeckt. Ich wurde hinausgeführt, bekam frische Kleidung, musste mich waschen. Man sagte mir, dass man König Manniks Tod noch ein bis zwei Tage geheim halten würde, um alles vorbereiten zu können. Was genau, habe ich bis heute nicht verstanden. Man setzte mich auf ein Pferd, brachte mich innerhalb kürzester Zeit zur Grenze nach Nadisland, gab mir sehr genaue Instruktionen, wohin ich gehen musste, um unauffällige Kleidung, Geld, einen Geleitbrief und Proviant zu finden. Von dort aus sollte ich mich in einer Stadt mit jemandem treffen, der mich außer Landes geschmuggelt hätte, Gott weiß wohin. Eine eurer Patrouillen hat dies verhindert. Den Rest der Geschichte kennst du.“
    Eine Weile herrschte Schweigen zwischen ihnen. Es war stockdunkel geworden, alles war still, obwohl es noch nicht spät sein konnte.
    „Noar sagte, dass in Vjalach jetzt jemand die Regierung übernommen hat, dem auch der Adel folgen wird“, murmelte Geron irgendwann nachdenklich. „Es muss also jemand aus deiner Familie sein. Ein Schwager vielleicht, ein Mann einer deiner Schwestern. Vielleicht auch ein anderer von Manniks nicht offiziell anerkannten Söhnen.“
    „Kann schon sein.“ Ninosh fühlte sich wie ausgewrungen, nachdem er endlich alles herauslassen durfte. Am liebsten wäre er an Gerons Schultern eingeschlafen, obwohl sein Brustkorb bei seiner leicht verdrehten Haltung in Flammen stand.
    Ein lautes Klopfen an der Tür ließ sie auseinanderfahren.
    „Geron? Der Feldscher wartet, und ich habe ein heißes Bad für euch beide bereit. Beeilt euch, anschließend können wir gemeinsam essen.“
    „Wir kommen“, rief Geron und schob Ninosh behutsam von sich.
    Sie waren schon fast an der Tür, als Geron ihn noch einmal zurückhielt und flüsterte: „Wenn jemand fragt wer du bist, antwortest du mit ‚Kriegsflüchtling aus Vjalach’. Jede andere Version werde ich leugnen, verstanden?“
    Ein warmes Gefühl rieselte durch Ninoshs Körper. Er wusste, dass es jetzt endlich vorbei war. Sein altes Leben war unwiderruflich beendet. Vor dem neuen Leben fürchtete er sich noch, doch er hoffte darauf, dass Geron ihm tatsächlich helfen würde.
    „Verstanden“, flüsterte er. „Ich werde dich nicht enttäuschen.“

    Satt, sauber und in Ninoshs Fall glatt rasiert und verbunden kehrten sie in ihre Kammer zurück.
    Ninosh zögerte, er wollte nicht allein in seinem Bett liegen.
    „Darf ich zu dir?“, flüsterte er. „Ich
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