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L(i)ebenswert (German Edition)

L(i)ebenswert (German Edition)

Titel: L(i)ebenswert (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt
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seinen Fängen hat.“ Amüsiertes Gelächter erscholl um ihn her, ehe er grob mitgezerrt wurde.
    Das Tier?
    Cyrian wurde ganz steif, was die Wachen nicht davon abhielt, ihn einfach mitzuschleifen. Jeder hatte von dem Tier gehört, dem gnadenlosen Serienmörder, der seit geraumer Zeit in der finstersten Kerkerzelle des Gefängnisses saß. Grausam hatte er seine Opfer zur Strecke gebracht und sie in seiner Wut regelrecht in Stücke zerhackt und zerrissen. Allesamt waren sie Angehörige der gehobenen Schicht gewesen und es ging ein deutliches Aufatmen durch ihre Reihen, nachdem man das Tier endlich gefasst hatte. Für Cyrian und viele andere war es allerdings ein unerklärliches Phänomen, warum man den Mörder nicht längst hingerichtet hatte.
    „Das wird ein Spaß!“ Die Wächter lachten.
    „Ob er das zu würdigen weiß, wie wir uns um seine Bedürfnisse kümmern?“, fragte einer feixend.
    „Und gleichzeitig räumen wir den Abschaum von der Straße“, fügte ein weiterer hinzu. Cyrian trat ihm gegen das Schienbein. Er war kein Abschaum! Prompt kassierte er eine Backpfeife.
    „Tritt ruhig“, wurde ihm hämisch ins Ohr geflüstert. „Du wirst noch früh genug um dich schlagen, beißen und treten. Wenn du nämlich in den Klauen des Tieres befindest. Dann kannst du heulen und jammern soviel du willst. Da unten in den Kerkerzellen wird dich keiner hören.“
    Angstvoll starrte er die Wachen an, die ihn mit sich zerrten. In seinem Magen bildete sich ein dicker, fester Klumpen, der ihm die Kehle hochwanderte und die Luft abdrückte. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn und tropfte ihm in die Augen. Mit aller Kraft versuchte er sich zu wehren, sich loszureißen und zu befreien. Doch er fing sich weitere schmerzhafte Hiebe und Knüffe ein.
    „Es soll niemand sagen, dass wir unserem besonderen Insassen nicht alle Wünsche erfüllen.“
    Cyrian wurde angegrinst. Leider konnte er den Humor überhaupt nicht teilen.

    Unter anzüglichen Witzen und viel Gelächter hatten sie ihm die Kleider vom Leib gerissen, in den Hintern gekniffen und ihre derben Scherze mit ihm getrieben. Der Knebel war fort und auch die Fesseln hatten die Wachen ihm gelöst. Nur einen Fluchtweg gab es nicht, selbst wenn er die kräftigen Männer hätte abschütteln können. Sie waren in die Tiefen des Gefängnisses hinabgestiegen, hatten die letzten düsteren Zellen mit ihren armseligen Bewohnern hinter sich gelassen, um sich dem letzten und wohl erbärmlichsten Loch zu nähern, das es hier gab. Gewaltige Riegel und zahlreiche Schlösser sicherten eine armdicke Tür aus versteinert wirkendem Eichenholz. Cyrians Herz schlug immer wilder, je weiter sie sich diesem Ziel näherten und sein Mut sank auf den Nullpunkt. Mittlerweile fürchtete er, vor Angst ohnmächtig zu werden.
    Einer der Wächter entriegelte die zahlreichen Schlösser und öffnete die Zelle. Das finstere Loch, das sich auftat, erschien Cyrian wie ein Zugang in den Abgrund des Diabolischen. Ein grober Stoß, begleitet von einem zynischen „Viel Vergnügen!“, ließ ihn hilflos in das Dunkel taumeln. Den Schatten, der auf ihn zuschoss, fühlte er mehr, als dass er ihn sah. In dem Moment, in dem die Tür zufiel, tat er einen wilden Satz zurück. Er spürte noch Finger, die sein Gesicht und seinen Hals streiften, dann prallte er schmerzhaft gegen eine Wand. Ketten klirrten, als sich das Tier irgendwo vor ihm in der Dunkelheit bewegte. Keuchend kauerte sich Cyrian mit wie verrückt pochendem Herzen an der Wand nieder und schlang die Arme um seinen nackten Leib. Stroh raschelte, es stank nach einem ungewaschenen Körper und Exkrementen. Was für eine Schreckensgestalt mochte da in der Finsternis hocken? Und wie lang waren die Ketten, die das Tier hielten? Würden sie das Monster davon abhalten, ihn umzubringen? Er hörte, wie sich das Tier bewegte, nervös, unruhig … gierig? Tränen der Verzweiflung stiegen in seinen Augen auf.
    „Bitte“, wimmerte er voller Panik. „Bitte, ich habe nichts getan.“
    Die Geräusche vor ihm verstummten.
    Es wartete. Lauerte.
    Cyrian schmiegte sich bibbernd gegen die Wand. Stumm verfluchte er seine Mutter, die ihn auf die Straße geschickt hatte. Er verfluchte auch die Wachen und das Tier, das Schicksal im Allgemeinen und die ganze restliche Welt gleich mit. Irgendwann schlief er ein, geistig und seelisch erschöpft, von Albträumen gepeinigt. Aber der Schlaf war die einzige Flucht, die er ergreifen konnte.

    Etwas krabbelte an seinen Zehen.
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