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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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sprechen, das mitgeht, das einem nicht nur wohlgesonnen, sondern in der Materie ist,
über die gesprochen wird. Ich sah es, sie wurden belebt, und als ich mich setzte, um hinterher Bücher zu signieren, wollten alle darüber sprechen, worüber ich geredet hatte, es berührte etwas in ihrem Leben, das sie mir voller Begeisterung erzählen wollten. Erst als ich mit Geir zum Auto ging, fiel ich wieder dort hinunter, wo ich normalerweise war, zu dem Ort, an dem die Verachtung keimte. Sagte nichts, setzte mich nur hinein und starrte auf die Straße hinaus, die sich durch die dunkle Landschaft wand.
    »Das war gut«, sagte Geir. »Du bist ja richtig gut. Ich begreife nicht, worüber du dich beschwerst. Damit könntest du von einem Ort zum nächsten reisen und Geld verdienen!«
    »Es ist gut gelaufen«, erwiderte ich. »Aber ich gebe ihnen nur, was sie haben wollen, sage ihnen, was sie hören wollen. Biedere mich ihnen an, wie ich mich allem und allen anbiedere.«
    »Vor mir saß eine Frau«, sagte Geir. »Sie sah aus wie eine Lehrerin. Als du anfingst, über Kindesmisshandlung zu reden, erstarrte sie. Dann hast du die erlösenden Worte gesprochen. Infantilisierung. Daraufhin nickte sie. Das war ein Begriff, mit dem sie etwas anfangen konnte. Das übertünchte alles. Aber hättest du das nicht getan, wärst du länger darauf eingegangen, ist nicht gesagt, dass hinterher jeder mit dir hätte sprechen wollen. Und was ist Pädophilie, wenn nicht infantil?«
    Er lachte. Ich schloss die Augen.
    »Und dieses Bläserensemble mitten im Wald. Barockmusik. Wer hätte das erwartet? Ha ha ha! Es war ein schöner Abend, Karl Ove, wirklich. Fast magisch. Die Dunkelheit und die Sterne und das Rauschen im Wald.«
    »Ja«, sagte ich.
     
    Wir fuhren an Kristiansand vorbei, über die Varodd-Brücke, am Tierpark, an Nørholm, Lillesand und Grimstad vorbei.
Plauderten ab und zu, erreichten Arendal, wo wir eine Zeit lang auf Tyholmen bummelten und ich in einem Lokal ein Bier trank und ohne bestimmten Grund völlig außer mir war. Hier zu sein, umgeben von den vertrauten Gebäuden um Pollen, mit der Silhouette der Tromøya auf der anderen Seite des Sundes, in einer Welt so vollgepackt mit Erinnerungen, war ein gutes, aber seltsames Gefühl, vor allem weil Geir, der für mich zum Stockholmer Teil meines Lebens gehörte, dabei war. Gegen zwölf fuhren wir nach Hisøya hinüber, wo er mir ein paar Orte zeigte, die ich betrachtete, ohne dass es mir gelingen wollte, echtes Interesse für sie zu mobilisieren, unter anderem einen Kai an der äußersten Spitze der Insel, auf dem er in seiner Jugend herumgehangen hatte, bevor wir schließlich in die Siedlung fuhren, in der er aufgewachsen war. Er parkte vor einer Garage, ich holte die Tasche und die Blumen, die man mir geschenkt hatte, aus dem Kofferraum, und folgte ihm zum Haus, das ähnlich aussah oder doch zumindest in derselben Zeit gebaut war wie unseres.
    Das Zimmer hinter dem Flur stand voller Blumen und Kränze.
    »Wie du siehst, hat hier eine Beerdigung stattgefunden«, sagte er. »Wenn du möchtest, kannst du deinen Strauß in eine der Vasen stellen.«
    Das tat ich. Er zeigte mir das Zimmer, in dem ich schlafen sollte und das eigentlich seinem Bruder, Odd Steinar, gehörte, der es aber für mich geräumt hatte. Wir aßen in der Küche ein paar Brote, ich ging in den beiden Wohnräumen umher und schaute mich um. Er hatte immer gesagt, dass seine Eltern im Grunde zur Generation vor unserer Elterngeneration gehörten, und als ich sah, wie sie eingerichtet waren, begriff ich, was er damit gemeint hatte. Läufer, Teppiche, Decken, allem war etwas binnenländisch Fünfzigerjahrehaftes eigen, und für die Möbel und die Bilder an den Wänden galt dasselbe.
Ein Haus aus den Siebzigern, eingerichtet wie ein Haus aus den Fünfzigern, so sah es dort aus. Viele Familienfotos an den Wänden, eine große Sammlung Nippes auf den Fensterbänken.
    Einmal davor war ich in einem Haus gewesen, in dem kurz zuvor jemand gestorben war. Damals herrschte darin überall Chaos. Hier war alles praktisch unverändert.
    Ich rauchte auf dem Hof eine Zigarette. Dann wünschten wir uns eine gute Nacht, und ich ging ins Bett, wollte die Augen nicht schließen, wollte nicht auf das stoßen, worauf ich dann stoßen würde, musste aber, setzte alles daran, an etwas Neutrales zu denken, und schlief wenige Minuten später ein.
     
    Am nächsten Morgen erwachte ich gegen sieben von den Aktivitäten in den Zimmern über mir. Geirs
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