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Lieben: Roman (German Edition)

Lieben: Roman (German Edition)

Titel: Lieben: Roman (German Edition)
Autoren: Karl Ove Knausgård
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richtig sind?«, sagte Geir. »Mitten im Wald? Wer in aller Welt fährt an einem Freitagabend hierher, um dich lesen zu hören?«
    »Wer weiß«, erwiderte ich. »Aber wir sind schon richtig. Schön, nicht?«
    »Allerdings. Stimmungsvoll.«
    Als wir auf die Gebäude zugingen, knirschten unsere Schritte auf dem gefrorenen Kies. Das eine, ein großes, weiß gestrichenes Holzhaus, das um die Jahrhundertwende erbaut worden sein musste, war völlig dunkel. In dem anderen, das in einem rechten Winkel zu dem einen zwanzig Meter weiter stand, waren drei Fenster erleuchtet. In einem sah man zwei Gestalten. Sie spielten Klavier und Geige. Darüber hinaus gab es zur Rechten eine geräumige Scheune, ebenfalls unbeleuchtet, in der die Lesung stattfinden sollte.
    Wir gingen ein paar Minuten umher, schauten in die dunklen Fenster, sahen eine Bibliothek und etwas, das wie ein Wohnzimmer aussah. Wir folgten der Straße, landeten an einer Steinbrücke über einen kleinen Fluss oder Bach. Schwarzes Wasser, und auf der anderen Seite Wald wie eine schwarze Wand.
    »Wir müssen uns einen Kaffee oder etwas anderes besorgen«, meinte Geir. »Sollen wir die beiden fragen, ob sie einen Schlüssel haben?«
    »Nein. Wir werden niemanden nach irgendetwas fragen«, sagte ich. »Die Veranstalter kommen, wann sie kommen.«
    »Aber wir müssen uns doch wenigstens ein bisschen aufwärmen«, entgegnete Geir. »Dagegen wirst du doch hoffentlich nichts einzuwenden haben?«
    »Nein.«
    Wir betraten das schmale Haus, das von den Tönen der beiden jugendlichen Musiker erfüllt war. Sie dürften sechzehn oder siebzehn gewesen sein. Sie hatte ein hübsches, sanftes Gesicht, und er, der genauso alt war wie sie, aber verpickelt und linkisch, errötete sogar leicht und schien nicht sonderlich erfreut zu sein, uns zu sehen.
    »Habt ihr vielleicht einen Schlüssel zu den Gebäuden hier? Er soll hier nämlich heute Abend lesen. Wir sind ein bisschen zu früh.«
    Sie schüttelte den Kopf. Aber wir könnten uns in den Nebenraum setzen, dort gebe es auch eine Kaffeemaschine.
    »Ich komme mir vor wie bei einem Aufenthalt im Landschulheim«, meinte Geir. »Das Licht in diesem Haus. Die Kälte und die Dunkelheit davor. Und der Wald. Und dass keiner weiß, wo ich bin. Keiner weiß, was ich tue. Ja, eine Art Freiheitsgefühl. Aber das liegt sehr an der Dunkelheit. An der Atmosphäre in ihr.«
    »Ich weiß, was du meinst«, sagte ich. »Ich bin einfach nur nervös. Mir tut alles weh.«
    »Wegen der Lesung? Weil du hier reden sollst? Entspann dich, Mann! Das klappt schon.«
    Ich hielt die Hand hoch.
    »Siehst du?«, sagte ich.
    Sie zitterte wie bei einem Tattergreis.
     
    Eine halbe Stunde später wurde ich in den Saal geführt, in dem die Lesung stattfinden sollte. Eine weitere bärtige Lektorengestalt Ende fünfzig und mit Brille hatte mich in Empfang genommen.
    »Ist das nicht schön?«, sagte er, als wir hineinkamen.
    Ich nickte. Es war wirklich ein schöner Raum. In der Scheune lag wie eine Kapsel eine große Galerie mit etwa zweihundert Sitzplätzen, erbaut, um eine optimale Akustik zu ermöglichen. Kunst an den Wänden aller Räume. In diesem Land steckt heute viel Geld, dachte ich erneut. Ich stellte meine Tasche neben dem Rednerpult ab, holte meine Blätter und Bücher heraus, begrüßte ein paar andere Leute, denen ich die Hand schütteln musste, unter anderem die Buchhändlerin, die gekommen war, um nach dem Vortrag Bücher zu verkaufen, eine ältere, sympathische, geschäftige Frau, bevor ich hinunterging und in der Dunkelheit einen Spaziergang zum Fluss machte, wo ich zwei Zigaretten rauchte. Anschließend saß ich eine Viertelstunde mit dem Kopf in den Händen auf der Toilette. Als ich wieder hochkam, waren einige Leute gekommen. Vierzig, vielleicht fünfzig? Das war gut. Außerdem gab es noch ein Bläserensemble, das Barockmusik spielen sollte. Eine halbe Stunde musizierten sie, mitten im Wald an einem Freitagabend, dann war ich an der Reihe. Ich stand im Zentrum der Aufmerksamkeit aller und trank Wasser, blätterte ein wenig in meinen Unterlagen, begann zögernd zu sprechen, verschluckte Worte, meine Stimme zitterte ein wenig, bis ich in Schwung gekommen war und einfach reden konnte. Das Publikum war aufgeschlossen, sein Interesse strömte zu mir hinauf, ich wurde immer lockerer, sie lachten an den Stellen, an denen sie auch lachen sollten, und ich wurde von einem Glücksgefühl erfüllt, denn wenige Dinge sind so erhebend, wie vor einem Publikum zu
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