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Liebe macht blind - manche bleiben es

Liebe macht blind - manche bleiben es

Titel: Liebe macht blind - manche bleiben es
Autoren: Christine Nöstlinger
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nicht und nicht gelingen will.

Enthemmt, verklemmt
    Ein Mensch, so er alleine mit sich selbst ist, ist ein ganz anderer als in Gesellschaft.
    Das merkt man schon an seinem Äußeren, wenn man ihm plötzlich, ohne dass er sich auf uns vorbereiten konnte, gegenübersteht.
    Hurtig schließt der Mensch dann allerlei Knöpfchen, zieht Zippverschlüsse hoch, ordnet sein Haupthaar oder entfernt sich sogar kurz, um seine Kleidung zu wechseln, weil er „seinen Aufzug dem Besuch nicht zumuten kann“.
    Der Mensch, so er alleine mit sich selbst ist, geht auch mit seinem Körper anders um als unter Mitmenschen. Er kratzt ihn, er bohrt in ihm herum, er stochert, er reibt, er streichelt.
    Er legt jedenfalls weit öfter Hand an ihn als unter Beobachtung.
    Der Mensch, so er alleine mit sich selbst ist, benimmt sich auch seltsam. Er singt. Ein und denselben Refrain eines Liedes singt er. Und den Gesang passt er dem Tempo seiner Tätigkeit an. Beim Einseifen des Bauches klingt es wie ein Wiegenlied, beim Schuhputzen wie ein Kampflied.
    Allein gelassene Menschen reden auch gern mit sich selbst und mit den Dingen, die sie gerade zur Hand nehmen.
    „Ja, ja! Das hast du nun von deiner Schlamperei, mein gutes Kind!“, sagt die Frau, die die Banküberweisung sucht, zu sich und dann, als sie sie gefunden hat, zur Banküberweisung: „Ach da bist du ja! Komm, jetzt füllen wir dich aus!“
    Manche Menschen allerdings betragen sich auch so, als ob sie allein wären, wenn sie mit ihrem Ehepartner zu zweit sind.
    Die Meinung darüber, ob das zulässig ist, divergiert. Die einen meinen, eine Partnerschaft müsse so sein, dass man sich nach intimer Lust und Laune – ganz so wie wenn man alleine wäre – benehmen dürfe. Sie haben ihre Knöpfchen ungeschlossen, ihre Zippverschlüsse offen, kratzen und bohren an sich herum und tönen dem Partner die Ohren voll und sind ganz erstaunt, wenn sie gefragt werden: „Was hast du gesagt?“
    „Ach nichts! Ich hab’ nur mit mir geredet“, ist dann die Antwort. Die anderen wiederum spielen auch noch nach zwanzig Ehejahren auf „korrekt“, muten dem Partner weder einen Lockenwickler über der Stirn noch ein Unterhemd zum Frühstück, weder einen Finger in der Nase noch den Anblick eines Hühnerauges zu.
    Letztere sind verklemmt, Erstere enthemmt. Welche ein Leben lang besser auszuhalten sind, ist schwer zu entscheiden.

Richtiger streiten
    Ich muss etwas loswerden, was heutzutage gar nicht „in“ ist, was auch garantiert – psychologisch gesehen – grundfalsch ist: Ich glaube nicht ans „richtige Streiten“! Damit meine ich gar nicht, dass es nicht gut und wohltuend wäre, wenn Eheleute im Konfliktfalle in Rede und Gegenrede, ganz gleich welcher Lautstärke, das anstehende Problem bereinigen könnten.
    Ich behaupte nur, dass die Sache, auch wenn sie einem noch so gut erklärt wird, selten funktioniert.
    Ich behaupte sogar, dass es für viele Eheleute gar nichts nützt, das „richtige Streiten“ perfekt zu beherrschen, wenn sie nicht in trauter oder untrauter Zweisamkeit leben, sondern in einem größeren Familienverband, der vom „richtigen Streiten“ keine Ahnung hat.
    Die Kinder, zum Beispiel, können beim „richtigen Streiten“ ein arges Hindernis sein. Sie haben von Freunden und Mitschülern gehört, dass auf Ehestreit Ehescheidung folgt.
    Dass das nur den „falsch“ Streitenden passiert, wissen sie nicht.
    Leicht kann es passieren, dass sie die häusliche Lage missdeuten. Es klingt ja schön, wenn man dagegen einwendet, das sei leicht aufzuklären, da müssten Papi und Mami bloß erklärend eingreifen. Tatsache ist aber, dass viele Kinder ihren Eltern von solchen Ängsten gar nichts erzählen und Papi und Mami oft nicht wissen, mit welchen Befürchtungen sich ihre geliebten Knirpse herumschlagen müssen.
    Fast unmöglich wird aber der noch so richtig geführte Streit, wenn eines Streitpartners Mutter im Haushalt lebt. Ich – um einmal privat zu werden – müsste mit so einem Streit warten, bis Mitternacht vorüber ist und meine Mutter zu Bett gegangen ist, denn ihr „Zu meiner Tochter halten“ und ihr helfendes Mitstreiten an meiner Seite würden dem Ehestreit eine Wendung geben, die kein gelernter und diplomierter Streiter gutheißen könnte.
    Nach Mitternacht aber kann ich leider nur noch gähnen; was wahrlich keine günstige Ausgangsposition für mich im Streitfall wäre.
    Ich für meinen Teil muss also weiter „cool“ bleiben und relativ streitlos durchs Leben wandeln,
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