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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verrückten Hund von neuem Modeschöpfer.
    »Ich hoffe –«, sagte Pierre. »Es wäre gräßlich, Sie mit dem Leimfetzen auf der Brust bis zum Jahre 2000 herumlaufen zu sehen. Das Jahr 2000 erleben wir noch. Das wette ich …«
    Sie lachte. Er bestaunte die Verwandlung ihres Gesichts und schwieg, weil man vor Schönheit nur schweigen kann, sonst zerstört man sie. Leichte Röte war über die Blässe gezogen, und die Sonne in ihrem goldenen Haar reflektierte und verschmolz die einzelnen Haare zu einem massiven Ganzen. Darunter das weite Blau ihrer Augen mit den kleinen schwarzen Punkten der Pupillen, dem veränderbaren Tor in ihre Seele.
    »Ich denke nur an eine Tasse Kaffee«, sagte sie. »Weiter nicht. Ich habe seit gestern mittag nichts mehr gegessen … und nicht geschlafen …«
    »Beginnen wir mit dem Ausflicken.« Pierre zog sie zu seiner Staffelei, klappte den Farbkasten auf und holte eine Tube Leim heraus. Madame Coco wird Kaffee haben, dachte er. Ich habe keine Bohne im Zimmer. Wenn sie Ev sieht, wird sie mir etwas leihen, obwohl sie geschworen hat, mir nie wieder etwas zu leihen. Madame Coco, werde ich sagen, nur einmal noch bitte ich Sie um eine kleine Gefälligkeit. Nicht für mich … für Ev. Sehen Sie sich Ev an, Madame … sie ist die Großzügigkeit Ihres Herzens wert.
    »Machen Sie schnell, Pierre –«, sagte Ev. Er schrak zusammen und nickte. »Es kommen immer mehr Leute auf die Plattform …«
    Er schraubte die Tube auf, holte das Stück Stoff aus der Hosentasche, drückte den Leim darüber, verrieb ihn und pappte den Fetzen Ev auf den Büstenhalter. Zum erstenmal berührte er damit bewußt ihre Brust, und sie hielt still, weil es keine Zärtlichkeit, sondern eine Reparatur war. In Pierre aber stieß ein fremdes Gefühl auf, verbreitete sich in ihm und glitt in seine Hände. Er strich den Stoff glatt, seine Finger umfaßten die festen Rundungen und nahmen mit tausend feinen Nerven die Form in sich auf, so wie ein Blinder mit den Fingerspitzen sieht und im Dunkel das Bild von Schönheit ersteht.
    »Es hält!« sagte er, als er seine Hände zurückzog. Er brauchte viel innere Gewalt dazu.
    Ev sah ihn an, ernst und fragend, und plötzlich schämte er sich in Grund und Boden.
    »Ich habe Vertrauen zu Ihnen, Pierre«, sagte sie langsam.
    Es gibt Ohrfeigen, die hört und sieht man nicht, aber sie treffen vernichtend. Pierre warf die Leimtube zurück in den blechernen Farbkasten.
    »Wenn Sie wollen, bringe ich Sie zurück –«, sagte er heiser.
    »Wohin?«
    »Nach Hause.«
    »Ich habe kein Zuhause mehr –«
    »Sie wissen nicht, wo Sie heute Nacht schlafen werden?«
    »Nein!« Sie wandte sich ab, als würde sie der Anblick des unter ihr liegenden Paris schwindelig machen. »Ich hatte mich auf einen anderen Schlaf eingestellt …«
    *
    Die guten Adressen von Paris, der Beweis gefüllter Bankkonten, die Sichtbarwerdung von Ehre und Fleiß, Können und Erfolg, aber oft auch von Rücksichtslosigkeit und vernichtender Kälte sind die Wohnviertel hinter der Place de l'Etoile: Bois de Boulogne, Neuilly, St. Cloud, Sevres und natürlich Versailles. Wer hier eine Wohnung hat, braucht keine Türen mehr einzurennen, er wird eingeladen. Wer hier ein Haus besitzt, lädt ein.
    Die Familie Chabras besaß seit 1890 einen schloßähnlichen Besitz an der Seine bei Boulogne. Ein Prachtbau mit Säulenhalle und Freitreppen in den Park hinunter, angelegt nach dem Muster der großen französischen Könige, mit Rosengärten und Springbrunnen, verträumten Pavillons hinter kunstvoll zu Figuren geschnittenen Hecken, mit steinernen Statuen und Putten, Kieswegen und künstlichen Bachläufen, Laubengängen und Muschelgrotten mit Wasserspielen.
    Fernand Chabras fand das alles lächerlich, aber da es sein Großvater angelegt, sein Vater liebevoll gepflegt hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als diese Familientradition des nachempfundenen barocken Gigantismus zu ertragen. Seine Frau Myrna – eine Amerikanerin – liebte diesen Prunk sogar und stellte ihn jedes Jahr neunmal bei in ganz Paris berühmten Parties heraus, und sein einziger Sohn Jules, mit sechsundzwanzig Jahren noch immer Student der Volkswirtschaft, ohne die Aussicht, das Studium jemals mit einem Examen zu beenden, betrachtete ›Château Aurore‹ als etwas Selbstverständliches, was zum Leben eines Chabras einfach gehört. Er fuhr einen verrückt schnellen, grellgelben Maserati, graste die hübschen Mädchen ab wie ein nimmersatter Büffel eine fette Weide und
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