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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Minute war sie noch nicht auf der Plattform gewesen, sie mußte mit dem letzten Fahrstuhl heraufgekommen sein. Sie hielt ihre flatternden Haare fest mit beiden Händen, lief zur Brüstung und blieb abrupt stehen, als habe sie jemand vor die Brust gestoßen. Dann zog sie die Schultern hoch, ließ die Haare und den Kopf los, warf die Hände nach vorn und stützte sich ab, um sich auf die Brüstung zu schwingen.
    Pierre machte aus dem Sitzen einen weiten Satz nach vorn und bekam gerade noch ihren Rock zu fassen, der im Zugwind sich bauschte und an den langen nackten Beinen hochstieg, als sei er ein Kranz, der hochgezogen wurde. Mit einem heftigen Ruck riß er an dem Stoff, das Mädchen fiel nach hinten in seine Arme, und gemeinsam rollten sie über die Plattform, umschlangen sich instinktmäßig und kollerten in die rechte Ecke der Brüstung. Pierre war zuerst auf den Beinen und zog das Mädchen hoch. Sie wehrte sich jetzt, hieb mit kleinen Fäusten auf ihn ein, und wieder traf ihn dieser lanzenhafte Blick, der das bleiche ovale Gesicht aufriß, wie ein Blitz einen fahlen Himmel zerstört und ihm trotzdem unheimliches Leben verleiht.
    »Lassen Sie mich los!« keuchte das Mädchen und hieb wieder gegen Pierres Arme. »Was mischen Sie sich ein? Es ist mein Leben, nicht Ihr Leben –«
    Es gelang ihr, sich mit einem wilden Ruck loszureißen, aber Pierre griff nach, faßte das rot-weiß-blau gestreifte Kleid vorn an ihren Brüsten, sie zerrte wieder, der leichte Stoff blieb mit einem ratschenden Laut in seinen Händen, sie starrte auf ihre Blöße, auf den weißen, kleinen Büstenhalter mit den Spitzenrüschen, bedeckte dann alles mit gespreizten Fingern und wich zur Wand des Fahrstuhlschachtes zurück.
    »Mischen Sie sich nicht ein!« sagte sie wieder. Ihre Stimme war fremd, sie paßte nicht zu diesem Körper, diesem Gesicht. Sie muß eine warme, streichelnde Stimme haben, dachte Pierre widersinnig. Jetzt ist sie rostig, geradezu unnatürlich. Eine erwürgte, mißhandelte, blutende Stimme. »Lassen Sie mich doch los!«
    Pierre hielt seine Hände mit dem Stoffetzen vor sich hin. »Ich halte Sie ja gar nicht fest«, sagte er. »Aber ich schwöre Ihnen, daß ich es jeden Moment wieder tun werde, wenn Sie weiter so dumme Sachen machen! Soviel war Fifi nun wirklich nicht wert –«
    »Sie Scheusal!« sagte sie laut. »Sie fürchterliches Scheusal!«
    Plötzlich weinte sie, schob die Hände, die noch ihre Brüste bedeckten, höher über ihr Gesicht, drehte sich um und preßte die Stirn gegen die Wand. Ihr Körper begann im Schluchzen zu zittern. Ein Glück, dachte Pierre, daß heute kein Betrieb auf dem Arc de Triomphe ist. Man würde es schwer haben, die Tatsachen zu erklären, mit einem Stück Kleid in der Hand, weggerissen von ihrer Brust.
    Er ließ sie stehen, ging ein paar Meter zur Seite, blickte um den Liftschacht herum und sah zwei junge Männer, die Hand in Hand an der Brüstung standen und hinunterblickten auf die Avenue de la Grande Armée. Zwei Schwule, versunken in ihre Liebe. Beruhigt kehrte Pierre zurück. Das Mädchen schluchzte nicht mehr … es drehte sich, als es seinen Schritt hörte, herum und zog das Kleid mit beiden Händen über dem Büstenhalter zusammen.
    »Jetzt sind Sie stolz, nicht wahr?« sagte sie. Ihre Stimme hatte sich wieder verändert. Das Weinen hatte sie reingewaschen, jetzt war sie blank, gläsern, aber mit einem Sprung im Glas, man hörte es deutlich. »Der Lebensretter! Warum haben Sie mich nicht springen lassen?«
    »Vom Arc de Triomphe? Unmöglich, Mademoiselle!«
    »Wieso ist das unmöglich?«
    Sie redet, dachte Pierre. Sie diskutiert. Ein seltsames Glücksgefühl durchströmte ihn. Wer debattiert, nimmt sich nicht das Leben. Soweit habe ich sie schon, daß sie über den Tod sprechen kann wie über ein Problem. Er steckte den Stoffetzen in seine linke Hosentasche und holte mit der anderen Hand seine zerknitterte Packung Zigaretten heraus.
    »Wer ein rot-weiß-blaues Kleid trägt, stürzt sich nicht vom Arc de Triomphe auf die Avenuen«, sagte er dabei.
    »Was hat ein Kleid damit zu tun?« antwortete sie hart.
    »Ich bin ein Patriot, Mademoiselle.« Er griff wieder in seine linke Hosentasche, holte den Kleiderfetzen heraus und tupfte ihr damit die Tränen aus den Augenwinkeln. Sie warf den Kopf zurück und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand des Liftschachtes. »Lassen Sie das –« sagte sie abweisend.
    »Welcher Franzose stürzt sich schon vom Arc de Triomphe! Das ist kein
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