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Liebe ist stärker als der Tod

Liebe ist stärker als der Tod

Titel: Liebe ist stärker als der Tod
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gewesen, und wenn auch später der Rückschlag eingetreten war: Es war ein Anfang gemacht worden, man kapitulierte nicht mehr vor dem Wissen, daß auch die Medizin nur die Praxis des Möglichen ist. Was war möglich und was unmöglich? Wer hatte vor ein paar Jahren noch daran gedacht, Herzen zu verpflanzen? Wer glaubte jemals, daß man abgerissene Gliedmaßen wieder funktionsfähig annähen könnte? Vor hundert Jahren war ein vereiterter, durchgebrochener Blinddarm ein Todesurteil … heute spricht man in den OP-Sälen überhaupt nicht mehr von einer solchen Operation. Sie ist Routine. Wer sagt da, man könne nicht auch eine Leber auswechseln, so wie man heute Gelenke und Knochenpfannen auswechselt oder das müde Herz mit einem Schrittmacher zwingt, weiter zu schlagen und den Menschen leben zu lassen.
    In Bonn sah man sich alle Papiere, die Ev aus Paris mitgebracht hatte, genau an. Ein paarmal liefen über das Telefon Gespräche zwischen Bonn und Paris hin und her, während Hubert Bader, mehr von der Liebe seiner Tochter zu diesem Maler, als von der Krankheit Pierres erschüttert, selbst amerikanische Kliniken über einen befreundeten deutschen Professor anrufen ließ und sogar drei Telegramme nach Tokio und Osaka schicken ließ, wo es Leberspezialisten geben sollte, die neue Methoden entwickelt hatten.
    Die Antworten liefen ein. Man braucht sie nicht zu erwähnen. Auch die Bonner Ärzte gaben Ev die Unterlagen zurück, und der Chef der Klinik unterhielt sich lange mit ihr über Pierre. Er versuchte, ihr die Wahrheit väterlich zu erklären, aber sie klammerte sich an ihre wahnsinnige Hoffnung, ein Mensch wie Pierre dürfe einfach nicht sterben. So logisch sie sonst denken konnte, hier versagte sie völlig. Das letzte große Muß im Leben eines Menschen verleugnete sie, wenn es um Pierre ging.
    »Es ist zu spät«, sagte der Chef der Bonner Universitätsklinik endlich, als kein Zureden mehr half. »Einfach zu spät, Fräulein Bader. Man vergißt immer, daß der Mensch auch nur ein Stück vergänglicher Materie ist, und dazu noch eine ziemlich weiche. Vor Jahren – wann, das kann man jetzt nicht mehr sagen – hätte man Herrn de Sangries retten können.«
    »Ich gebe nicht auf, Herr Professor!« sagte Ev und nahm die Papiere in dem großen Kuvert an sich. »Nein, ich gebe nicht auf! Irgendwo wird es einen Arzt geben, der etwas Neues entdeckt hat, der auch Pierre helfen kann –«
    Der Chef der Bonner Klinik schwieg. Man kann einem Menschen in dieser verzweifelten Hoffnung nicht mehr zureden. Auch das gehörte zum Alltag einer Klinik: Die tägliche erschütternde Erkenntnis, wie wenig ein Mensch das Wort ›endgültig‹ begreift.
    Jeden Abend rief Ev aus Köln in Paris an. Die ersten Abende kam Pierre herunter, und sie sagten sich, daß sie sich liebten, daß sie Sehnsucht nach einander hätten, daß die Tage allein eine Qual seien.
    »Mir geht es gut«, sagte Pierre einmal. »Ich habe ein großes neues Bild angefangen. Unser Fischer in Le Paradis mit seinen weißen Pferden, und das alte, verrottete Boot, in dem die Kaninchen nisteten. Darüber der Himmel der Camargue … es wird ein schönes Bild, Ev …«
    Dann, an den nächsten Abenden, kam Pierre nicht mehr herunter. Madame Coco sagte: »Ich rufe ihn!«, und dann hörte sie ihre Stimme im Treppenhaus widerklingen, Pierres Stimme antwortete von oben, und Madame kam zurück und sagte: »Er malt wie ein Verrückter. Er läßt grüßen. Er kann jetzt nicht von der Leinwand weg …«
    Ev verstand das. Sie kannte Pierres Arbeitsweise genau. Manchmal malte er wie in einem Rausch, und wenn man ihn ansprach, blickte er durch einen hindurch, als sei man aus Glas.
    Am fünften Abend, als Pierre noch immer nicht ans Telefon kam, wurde Ev unruhig. »Ich will ihn sprechen, petite mère«, sagte sie. »Rufen Sie zu ihm hinauf: Ich will ihn sprechen! Es ist aus Tokio ein Telegramm gekommen, vielleicht fliegen wir nächste Woche nach Tokio.«
    »Es hat keinen Sinn, Ev … er kommt nicht«, sagte Madame Coco. »Ich werde ihm das sagen wegen Tokio …«
    »Sie verschweigen mir etwas, Madame!« Ev hielt den Atem an. Madame Cocos Atem war deutlich zu hören. »Geht es Pierre schlechter? Hat er wieder einen Anfall gehabt?«
    »Er hat keinen Anfall mehr gehabt«, sagte Madame Coco fest. »Und ihm geht es besser als vorige Woche. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Ev –«
    Dann legte sie auf, und das war es, was Ev bewog, den nächsten Zug nach Paris zu nehmen. »Was auch ist,
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