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Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Autoren: Brigitte Riebe
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geteilt hatte; die gemeinsame Sprache, die ihn auch mit dessen Sohn verband.
    Allerdings überraschte es Raymond, dass keiner der anderen Vertrauten beim König war, kein Gero mit dem Eisenkinn, den Otto mit der Markgrafenschaft an der mittleren Elbe und Saale üppig belehnt hatte, kein Hermann Billung, der seit einigen Jahren im gleichen Rang selbstherrlich die untere Elbe regierte. Auch Ottos jüngster Bruder Brun, für die geistliche Laufbahn bestimmt, fehlte. Seltsamerweise ließ sich nicht einmal Raymonds Waffenbruder Bernhard blicken, der günstige Gelegenheiten wie diese sonst stets zu nutzen wusste. Sein Groll auf diese Männer – allesamt von Otto weitaus höher ausgezeichnet als er, obwohl er doch eigentlich den Vorrang hätte haben müssen – war nicht verflogen, hatte sich im Lauf der Zeit jedoch gewandelt.
    Wer zu nah an die Flamme der Macht kommt, verbrennt auch schnell, dachte er. Mir liegt da eher ein Platz im Schatten. Von hier aus kann ich in Ruhe meine Beobachtungen anstellen und gelassen die richtigen Schlüsse für künftiges Handeln ziehen. Wer weiß schon, was die Zukunft bringen wird? Das letzte Wort wird erst beim letzten Atemzug gesprochen.
    Nicht einmal die königlichen Kinder spendeten dem Witwer Trost, dabei hatte Raymond beim Betreten des schlichten Gebäudes den halbwüchsigen Prinzen Liudolf gesehen, der sich im Vorübergehen weinend an seine Schwester gepresst hatte. Würde dieser ehrgeizige Junge mit dem unsteten Blick, den er von klein auf hatte heranwachsen sehen, eines Tages ein würdiger Nachfolger Ottos werden?
    Im Augenblick erschien ihm der König kraftlos, in sich zusammengesunken, als sei er über Nacht geschrumpft. Otto war kein Hüne, aber doch ein stattlicher, untersetzter Mann mit rotblondem, sich bereits lichtendem Haar und dem rötlichen Brustfell eines Löwen. Seiner Trauer hatte er zumindest den wuchernden Vollbart geopfert, den er entgegen aller Mode seit Jahren hartnäckig beibehalten hatte. Raymond fiel auf, wie bleich Otto war, wie schwer die Lider über den geröteten Augen lagen, wie schlaff das Kinn wirkte. Die Hüften waren zu breit für einen Krieger, die langen Arme überraschend mager. Raymond wusste besser als jeder andere, welche Hitze dieser Körper ausstrahlte, auch wenn es schon lange zurücklag, dass sie sich so nah gekommen waren.
    »Es ist Winter«, sagte der König plötzlich. »Zeit, eure Burgen zu bestellen und all das andere, was über das Jahr liegen geblieben ist. Du solltest eigentlich gar nicht hier sein.«
    »Für einen Ritter gibt es keine Jahreszeiten.«
    »Doch, die gibt es«, widersprach Otto. »Und für einen König gibt es sie auch.«
    »Sag das nicht mir, sondern unseren Feinden!«, erwiderte Raymond mit dem Anflug eines Lächelns. »Vielleicht haben sie ja ein Einsehen und verziehen sich freiwillig, anstatt uns aus dem Hinterhalt zu attackieren.«
    »Soll das denn niemals enden?«
    »Nicht bis der letzte Slawe diesseits und jenseits der Elbe deine Krone anerkannt hat, Monseigneur. Was nützen dir sonst all die Privilegien, mit denen du dein Magdeburg auszeichnest? Nicht seine Mauern schützen es vor ihnen, sondern unsere Schwerter.«
    »Aber kaum sind die einen unterworfen, erheben sich schon wieder neue. Als sprudle irgendwo weit im Osten eine geheimnisvolle Quelle, unablässig bereit, stets andere, immer noch kampflustigere Stämme auszuspucken. Ich bin dieser Schlachterei manchmal so überdrüssig. Und jetzt, da meine Edgith nicht mehr ist …« Sein Arm fiel kraftlos herunter.
    Er hatte seit Tagen nichts gegessen und kaum ausreichend getrunken. Der trübe Blick und die eingefallenen Wangen verrieten Raymond genug. Er zog den Krug mit heißem, gewürztem Wein heran, den eine Dienerin hereingebracht hatte, schenkte einen Becher voll und schob ihn Otto hin.
    Der nahm ihn tatsächlich und trank. Eine Spur von Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.
    »Du kennst die Antwort, mein König«, sagte Raymond. »Es war ihr Land, und mit Feuer und Blut haben wir es ihnen genommen. Sollen sie uns etwa dafür dankbar sein? Doch dein Vater hat diesen Kampf begonnen, und wir werden ihn weiterführen. Es sei denn, du willst auf all das verzichten, was wir mit Blut und Schweiß errungen haben.« Unversehens war er in seine weiche westliche Mundart verfallen, die er sonst abgelegt hatte. »Du hast keine Wahl – und das weißt du. Die Toten fordern, dass du weitermachst. Und nicht nur sie. Zögerst du, zeigst du auch nur ein Anzeichen von
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