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Liebe ist ein Kleid aus Feuer

Titel: Liebe ist ein Kleid aus Feuer
Autoren: Brigitte Riebe
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Schwäche, verlierst du dein Königsheil. Das wäre nicht nur der Untergang für dich, sondern auch für dein ganzes Geschlecht.«
    Otto starrte ihn an, als sehe er ihn zum ersten Mal. Dabei kannte er ihn lang genug, um zu wissen, dass Raymond stets ein Hitzkopf gewesen war, der sich um Etikette wenig scherte. Beinahe sein ganzes Leben hatte er ihn begleitet, dieser kleine, drahtige Kämpfer aus dem südlichsten Zipfel von Lotharingen. Ein Krieger, wie es ihn heute kaum noch gab. Manchmal hätte man fast glauben können, der Graf sei mit der Brünne verwachsen, so stolz trug er seinen eisernen Waffenrock. Noch immer hielt er sich aufrecht, aber sein Schopf war grau geworden im Dienst seiner Könige; das Gesicht hager, der Hals faltig. Er war viel älter als die meisten anderen Ritter, und Otto trennten mehr als zwanzig Jahre von ihm, doch in Raymonds tief liegenden dunklen Augen war nichts von Überdruss oder Abschied zu lesen.
    Wieso ist er nicht längst im Kampf gefallen wie so viele andere?, dachte der König. Dann gäbe es niemanden mehr, dem ich mich auf ewig verpflichtet fühlen müsste.
    Unwillkürlich fuhr seine Hand zu dem goldenen Amulett auf der Brust, und die Gewissheit des heiligen Knöchelchens, das es inwendig barg, war tröstlich. Es gab ihm stets das Gefühl, näher bei Gott zu sein. Hätte er es damals schon besessen, wäre alles vielleicht anders gekommen. Aber die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen, so sehr er sich das auch wünschte. Dafür reichte seine Macht nicht aus, die Macht des gekrönten und gesalbten Herrschers des ostfränkischen Reiches. Denn einst hatte ihn eisig der Tod gestreift. In seinen Träumen hatte er jenen Moment wieder und wieder erlebt, war schreiend aufgewacht, wild um sich schlagend, schweißgebadet.
    Er wusste, dass er noch immer im Schlaf redete, und er hasste sich dafür. Jeder weitere Mitwisser wäre eine Gefahr gewesen. Denn was sich vor langen Jahren zugetragen hatte, hätte nicht geschehen dürfen, keinem König, und auch keinem wie ihm, der später einmal König werden sollte. Andererseits hätte er ohne Raymond niemals den Thron besteigen können – und es gab Tage, da hasste er ihn deshalb regelrecht.
    »Haben wir uns nicht eigenhändig zu Meistern des Winterkriegs gekürt?«, sagte der alte Ritter mitten in Ottos Gedanken hinein. »Wie sonst hätten wir die Heveller vernichtend schlagen können? Ihre Burg Brennabor bezwingen? Und uns schon kurz danach die Daleminzier vornehmen? Keinen von ihnen haben wir entkommen lassen, nicht einmal die Frauen und Kinder, obwohl diese auf dem Prager Sklavenmarkt gutes Silber gebracht hätten.«
    Es war, als fege ein frostiger Wind durch den Raum, als seien die schützenden Mauern plötzlich verschwunden. Die beiden Männer spürten plötzlich wieder die Kälte, den eisigen Schneesturm, der jedes Vorankommen nahezu unmöglich machte. Den Hunger, weil der Nachschub wieder einmal liegen geblieben war. Das Ungeziefer. Die Glieder, klamm, kurz vor dem Erfrieren.
    Und dann war da wieder der Schmerz, während draußen die Wölfe heulten, die Angst, die lähmend zum Herzen kroch. All die Wintergeister und Schneedämonen, die aus ihren Höhlen gekrochen waren und sie nun feixend verhöhnten. Der Tod, der die Zeltstadt schon betreten hatte und nicht bereit schien, sich unverrichteter Dinge wieder fortschicken zu lassen.
    Später dann das anhaltende Brennen in den Augen, nicht nur wegen der nassen, unentwegt rauchenden Feuerstellen. Ein Brennen, das erst recht nicht enden wollte, als man auf Heinrichs Befehl die feindlichen Überlebenden in den frisch gefallenen Schnee getrieben hatte, Kinder und Frauen, schutzlos und nackt, wie ihre Mütter sie einst geboren hatten …
    »Ein herrliches Weihnachtsfest war das damals in Pöhlde«, sagte Otto unvermittelt. »Als endlich alles vorüber war. So hell und so feierlich wie selten zuvor.«
    »Ja, das war es.«
    »Noch im gleichen Jahr hat mein Vater dich zum Grafen erhoben und dir Burg Scharzfels als Lehen gegeben. Wenig später hast du die blutjunge Oda zur Frau genommen.«
    Und die nicht minder junge Dyma gebar dir Wilhelm, deinen ersten Sohn, dachte Raymond nicht ohne Bitterkeit. Ein Geschenk, für das ich alles geben würde – sogar mein Leben.
    »Du vermisst sie.« Der König legte seine Hand auf Raymonds Arm, und wieder spürte der Graf sogar durch Schichten von Filz und Leder die eigentümliche Hitze, die Otto ausstrahlte. »Ich werde euch erlösen. Du sollst sie nicht länger warten
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