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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Augen, als würge man ihn, und holte dann tief Luft. »Was habt ihr?« fragte er entgeistert. »Wiederholt das mal!«
    »Einen Passierschein und Platzkarten.«
    »Für den Zug hier?«
    »Ja.«
    »Platzkarten!« Die Stimme des Vorstehers überschlug sich. »Ich werde wahnsinnig! Sie haben Platzkarten! Vielleicht noch einen Sitz mit einem Kissen im Nacken? Und einer Fußstütze? Ha! Laßt mich in Frieden, oder ich schreie!« Er schlug die Tür seines Büros zu und schloß sie von innen ab.
    »Das wird schwer werden, Hochwohlgeboren!« sagte Tschugarin ahnungsvoll. »Vielleicht sollten Sie sich an den Ortskommandanten wenden.«
    Der Kommandant von Petschogorsk hieß Zylachjew. Er war ein kleiner, dicker, schwitzender Mann – Sargtischler von Beruf. Er hörte sich Gregor und Tschugarin an, betrachtete ihre Papiere und nickte kummervoll. »Es stimmt alles«, sagte er. »Freie Fahrt durch ganz Rußland! Glückliche Genossen! Und Plätze sind reserviert … Wenn der nächste Zug einläuft, werden sich die Leute gegenseitig erdrücken, zerquetschen, umbringen! Und ihr habt Platzkarten!«
    »Kennen Sie den Genossen Jerschow?« fragte Gregor unsicher.
    »Irgendwo habe ich den Namen schon gehört.«
    »Er ist ein persönlicher Freund von Lenin! Aus Genf!«
    »Ach!« Zylachjew betrachtete von neuem die Passierscheine und rülpste. Er hatte Bohnensuppe gegessen. »Wartet auf mich«, sagte er dann. »Ich will etwas versuchen. Womit seid ihr hier?«
    »Mit einer Kutsche und zwei Pferden.«
    »Haben die auch reservierte Plätze?« stöhnte Zylachjew. Aber es war nur ein Witz, natürlich, man belachte ihn gebührend und wurde dann wieder sachlich. »Wohin mit ihnen?«
    »Wir verkaufen sie am Bahnhof«, sagte Tschugarin.
    »Schlachtet sie lieber, die Gäulchen«, riet Zylachjew. »Wer kauft auf einem Bahnhof, wenn er auf einen Zug wartet, zwei Pferde, he? Wartet auf mich in der Kutsche«, fuhr er dann fort. »Ich will etwas versuchen.«
    Es dauerte ungefähr zwei Stunden, bis er zurückkam. Die Kutsche stand abseits von dem Gedränge und Tschugarin hatte bisher vergeblich versucht, Pferde und Kutsche an den Mann zu bringen. Keiner wollte sie haben. Michejew, der abwechselnd schlief oder stumm vor sich hinstarrte, sagte einmal: »Laßt sie doch einfach stehen! Irgend jemand wird sie schon mitnehmen! Es gibt ja doch keine Ordnung mehr.« Dann versank er wieder in tiefes Brüten. Er war nicht mehr der alte General Michejew …
    Zylachjew erschien also und strahlte über das ganze fette Gesicht.
    »Wieviel Särge braucht ihr?« fragte er und schaute sich um.
    Grazina starrte ihn entsetzt an. »Särge?«
    »Natürlich!« Zylachjew war stolz auf seine Idee. »Ein Sarg ist der einzige Platz, wo man einen Sitz reservieren kann – noch dazu einen Liegesitz! Hat der Genosse Jerschow geschrieben, daß es ein Platz in einem Waggon sein muß? Ich lasse einen Güterwagen anhängen, stelle Särge hinein, und keiner wird euch stören. Also, wieviel braucht ihr?«
    »Fünf«, sagte Gregor ohne Zögern.
    »Das macht fünfzig Rubel! Fünf für jeden Sarg. Einfache Tanne, keine Luxusausführung. Oder wollt ihr Särge mit Schnitzereien haben …«
    »Fünf mal fünf Rubel macht fünfundzwanzig, Genosse«, sagte Tschugarin. »Keine fünfzig!«
    »Fünfundzwanzig Rubel kostet die Idee! Seht es ein, Genossen! Man wird euch auf dem ganzen Weg nicht stören – bis Wladiwostok nicht! Wer öffnet schon Särge? Ich werde auf jeden Sarg einen Zettel kleben: Leichentransport nach Wladiwostok – Zentralfriedhof! Nur müßt ihr eines beachten: Ihr könnt nur in der Nacht den Waggon verlassen, wenn der Zug irgendwo hält. Tagsüber seid ihr tot! Also, sind fünfzig Rubel bereit?«
    »Sie sind es, Genosse!« sagte Gregor.
    »Dann ist zumindest das erledigt.« Zylachjew freute sich sichtlich. »Was uns jetzt nur noch fehlt, ist der Zug …«
    Und der Zug kam! Nach vier Tagen läutete das Telefon bei dem völlig entnervten Bahnhofsvorsteher: In sechs Stunden hält der Zug in Petschogorsk. Zylachjew wurde um Hilfe gebeten, eine Kompanie der Roten Armee sperrte den Bahnsteig ab, errichtete Sperren, durch die man gehen mußte. Ferner ließ Zylachjew verkünden, daß jeder erschossen würde, der sich vordrängele, und gab den Befehl aus, alles Gepäck liegenzulassen bis auf das, was man mit zwei Händen tragen könne. Das alte Lied …
    Michejew, Gregor, Grazina, Luschek und Tschugarin aber meldeten sich bei Zylachjew und wurden eingesargt. Es waren billige,
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