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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Teesalon.
    Hinter seinem Rücken knallten wieder die Stempel auf die Todesurteile.
    Es war, als habe der verlorene Krieg, der grausame Tod Anna Petrownas, die Vernichtung von Trasnakoje, das Ende des Zarenreiches, das Wesen des Wladimir Alexandrowitsch Michejew völlig zerstört.
    Er war nicht mehr der General, er war nicht einmal mehr Michejew … Nach dem Bad saß er sauber, rasiert, in einem gefütterten Morgenmantel, im Sessel am Fenster, starrte in den Garten und aß und trank nichts. Wanda Timofejewna blaffte ihn ein paarmal an, aber auch das hatte keine Wirkung. Früher hätte Michejew seiner Schwester mit Flüchen geantwortet, und es wäre eine schöne Unterhaltung in Gang gekommen. Er sah nur ab und zu seine Tochter Grazina und seinen Schwiegersohn Gregor mit traurigen Augen an und wandte sich dann wieder dem Garten zu.
    Dort putzte Tschugarin die Pferde. Er sang dabei, denn er wußte auch, daß sein Herr zurückgekommen war. Bei ihm war die Witwe Larissa, das jüngste Kind auf dem Arm; die anderen klammerten sich an ihre Schürze.
    Auch Luschek erlebte es bei seinem Käferchen Latifa: »Du bleibst!« schrie sie und war plötzlich eine fauchende Katze. »Du hast ein Kind! Sieh dir dein Töchterchen an, du Satan! Du bleibst, oder ich stürze mich mit meinem Kind in den Tobol!«
    »Ick hab' in Berlin noch 'ne Jasrechnung zu bezahlen«, meinte Luschek und putzte seine Stiefel. »Aba ick komm ja wieder, det verspreche ick dir …«
    »Morgen früh, Väterchen, fahren wir«, sagte Grazina leise. Michejew wandte den Kopf um, blieb aber stumm. »Und in Petschogorsk bekommen wir im ersten Zug, der einläuft, Plätze. Jerschow hat uns ein Schreiben an den Kommandanten von Petschogorsk mitgegeben. Du heißt jetzt Lewanowski. Gregor ist Fatalew, und ich bin seine Frau Marija. Wir werden um unser Glück beten, Väterchen!«
    Michejew nickte wortlos, aber man war sich nicht sicher, ob er überhaupt etwas verstanden hatte.
    Zu packen gab es wenig. »Nehmt nur mit, was man mit zwei Händen tragen kann«, riet Tante Wanda. »Und selbst das ist noch zuviel! Ihr werdet die Hände gebrauchen müssen, um euch den Weg zu erkämpfen! Eine Faust ist manchmal besser als eine Hand voll Gold! Das werdet ihr noch merken.«
    Den ganzen Tag über nähte Grazina in ihre Unterwäsche, in die Jacke und in Gregors Anzug Rubelscheine, aus den Fassungen gebrochene Edelsteine des Familienschmucks und Perlenketten von seltener Schönheit ein. Es war ein Vermögen, was da vernäht wurde. Wanda Timofejewna tat noch einiges dazu – man hatte nicht erwartet, daß sie überhaupt Schmuck besessen hatte.
    »Auch ich war einmal jung und eitel!« brummte sie. »Kaum zu glauben! Wozu brauch ich's noch? In diesem Rußland nicht mehr … Ihr aber könnt damit ein neues Leben beginnen – in Amerika, in Frankreich, in England …«
    »Wir kommen zurück, wenn sich alles beruhigt hat!« sagte Grazina.
    »Was nennst du beruhigt? Die Roten siegen und werden bleiben! Nehmt Abschied! Wenn ihr jemals zurückkommt in eure Heimat, dann als harmlose Touristen … wenn ihr hineingelassen werdet! Findet euch damit ab – alles andere ist Utopie!«
    »Nie, Tante Wanda! Nie!« entgegnete Grazina erregt. »Es ist meine Heimat, und die Bolschewisten sind genauso Russen wie ich!«
    Am Abend erschien Jerschow. Er trug eine schwarze Hose und eine schwarze Lederjacke. Michejew zuckte zusammen, als er ihn sah.
    Aber auch jetzt schwieg er. In seinem Sessel saß er, den Kopf gesenkt, und lauschte auf Grazinas Klavierspiel. Jerschow mußte ihn öfters ansehen. Ein alter armer Mann hockte da, von dem man nie glauben mochte, daß er einmal der mächtige General Graf Michejew gewesen war. Der hohe Herr, vor dem die Leute gezittert hatten, wenn er zur Inspektion seine Güter abfuhr. Mitleid hatte Jerschow nicht. So wie Michejew verfiel, so mußte das ganze alte Rußland verfallen. Es war morsch geworden und hatte sich nur noch durch den Glanz der Uniform und die Unterdrückung der Wahrheit halten können. Das aber war endgültig vorbei!
    In der Remise wartete die Kutsche reisebereit. Die Pferde waren gut gefüttert. Zum letztenmal nahmen auch Luschek und Tschugarin zärtlichen Abschied.
    An diesem Abend wurde nach Grazinas Klavierspiel nicht geklatscht. Stumm, betreten standen alle auf und sahen sich an. Jerschow griff in die Tasche und holte einige Papiere heraus.
    »Für den Genossen Lewanowski«, sagte er mit rauher Stimme. »Für den Genossen Fatalew und seine Frau Marija. Für
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