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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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warf sich über sie, aber Anna Petrowna spürte nicht mehr, wie sie zu Boden fiel. Sie war sofort tot.
    Der Eierkopf lachte dröhnend. Dann ging er von Bär zu Bär und praktizierte an ihnen die sichere Tötungsart des Genickschusses. Er winkte den anderen Genossen zu.
    »Wie immer!« schrie er. »Und hier besonders gründlich! Das war eine Hochburg des Kapitalismus und der Volksunterdrückung!«
    Eine halbe Stunde später brannte Trasnakoje. Es brannte bis auf die Grundmauern nieder, denn niemand konnte löschen. Die Bolschewisten standen so lange um das flammende Haus, bis die Außenmauern unter der glühenden Hitze auseinanderbarsten. Dann kletterten sie wieder auf ihre Lastwagen, schwenkten die roten Fahnen und fuhren weiter.
    Lenin und keiner der sowjetischen Führer konnten es sich erklären, warum gerade das Gebiet von Trasnakoje bis zur heutigen Zeit einen passiven Widerstand gegen alle bolschewistischen Neuerungen leistete und die Mitgliederzahl der Parteigenossen im Vergleich zu anderen Gebieten geradezu beschämend niedrig war.
    Den Genossen mit dem Eierkopf konnte keiner mehr fragen. Er wurde im Jahre 1921 in Perm wegen Plünderung erschossen. Von seinen eigenen Genossen. Mit Genickschuß.
    Wanda Timofejewna bestand darauf, diese Geschichte, die der alte Michejew unter fortwährendem Schluchzen berichtet hatte, Jerschow zu erzählen.
    »Das muß er wissen!« rief sie mit ihrer Donnerstimme. »Ich bringe es ihm bei! Wenn mein Bruder auch nie etwas taugte –«, der General zuckte zusammen, aber er schwieg, »Anna Petrowna hat das nicht verdient! Los, säubere dich, Wladimir Alexandrowitsch! Und dann überlegen wir, was aus dir werden soll. Eines ist sicher – wenn man erfährt, daß du noch lebst, schlägt man dich hier tot!«
    Während General Michejew badete und Grazina frische Kleidung für ihn besorgte, stampfte sie in ihren Teesalon, Jerschows ›Revolutionsbüro‹. Gregor folgte ihr, Unheil ahnend. Jerschow blickte hoch und zog die Augenbrauen zusammen. Es kam höchst selten vor, daß Wanda Timofejewna ihn hier besuchte. Nun wuchtete sie herein und zeigte mit einer großen Handbewegung auf die Genossen, die sich im Zimmer drängten und die Frau entgeistert anstarrten.
    »Müssen die alle hier sein?« dröhnte Tante Wanda. »Iwan Iwanowitsch, schmeiß sie hinaus! Ich habe wichtige Neuigkeiten für dich!«
    Jerschow seufzte verstohlen, winkte und die Genossen verließen das Zimmer. »Wenn es nicht wichtig ist«, sagte er dann, »streiche ich Ihnen das Privileg, zweimal wöchentlich ein Huhn zu schlachten, Bürgerin Prochkowa!«
    »Bürgerin!« schrie Wanda Timofejewna. »Ich werde dir was erzählen, du roter Esel! Kümmere dich darum, daß du fest auf deinem Stuhl sitzt. Trasnakoje ist zerstört worden! Niedergebrannt bis auf die Grundmauern.«
    »Und …« Jerschow wurde noch fahler und sprang auf. Mit den Fäusten stützte er sich auf die Tischplatte. »Das ist nicht wahr«, sagte er dann tonlos.
    »Ich weiß es genau!«
    »Lenin weiß genau, was Trasnakoje für uns alle getan hat.«
    »Lenin! Lenin! Er ist auch nur ein Mensch. Trasnakoje gibt es nicht mehr! Das ist dein Lenin …«
    »Und Anna Petrowna?« fragte Jerschow heiser. Dabei sah er Gregor an.
    »Tot!« erwiderte Gregor laut. »Man hat sie von ihren eigenen Bären zerreißen lassen! Ein Trupp Bolschewisten …«
    »Mein Gott!« stammelte Jerschow und schloß die Augen. »Von den Bären!« Seine Stimme zitterte. Das Bild, das vor seinem Inneren abrollte, war so grauenhaft, daß ihm die Worte schwerfielen. »Wer war es?«
    »Ein Genosse mit einem Eierkopf, sagen die Bauern!« Gregor schob Tante Wanda einen Stuhl hin und sie setzte sich. Jetzt überkam auch sie der Schock. Endlich, nachdem sie sich ausgetobt hatte.
    »Und wie nimmt es Grazina Wladimirowna auf?« fragte Jerschow nach einer Pause.
    »Wie versteinert. Sie weint nicht, sie sagt kein Wort. Es ist, als ob diese Nachricht ihre Seele getötet hätte. Sie atmet, sie lebt – aber das ist auch alles.«
    »Ihre Liebe wird sie das Schreckliche vergessen lassen, Gregorij Maximowitsch«, erwiderte Jerschow mühsam. »Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Auch diese Wunde wird vernarben. Ich weiß, wie idiotisch das alles klingt – aber was soll ich sonst sagen? Grazinas Halt ist jetzt nur noch Ihre Liebe. Und das neue Leben, das Sie mit ihr führen werden.«
    »Wo? Hier? In diesem Land? Wo so etwas geschehen kann? Hier bieten Sie mir ein neues Leben an, Jerschow?«
    »Wer hat Ihnen die
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