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Liebe in St. Petersburg

Liebe in St. Petersburg

Titel: Liebe in St. Petersburg
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Genossen Lubnokow«, das war Luschek, »und den Genossen Tschugarin. Passierscheine für alle Gebiete Rußlands. Das Land steht Ihnen offen, soweit es von unseren Truppen besetzt ist.«
    »Ich danke Ihnen, Iwan Iwanowitsch«, sagte Grazina leise und nahm die Papiere. »Soll ich Ihnen Glück wünschen?«
    »Er wird's so nötig haben wie ihr!« dröhnte Tante Wanda.
    »Die Revolution wird auch ihn auffressen – wie Anna Petrowna. Genauso! Nicht anders!« Es waren die ersten und einzigen Worte, die Michejew an diesem Abend sprach.
    Jerschow zog die Schultern hoch als fröre er. »Gute Reise!« sagte er kurz. Dann drehte er sich um und ging schnell hinaus.
    Er gab keinem die Hand zum Abschied – vielleicht konnte er es nicht. War es doch wahr, was Gregor immer von ihm gesagt hatte? Für einen Revolutionär, wie Rußland sie jetzt brauchte, war er zu weich …?
    Beim Morgengrauen rasselte die Kutsche aus dem Hof des Prochkowschen Gutes. Auf dem Bock saßen Tschugarin und Luschek, und ihre Weiberchen liefen neben der Kutsche her und heulten, als sei es ein Begräbniszug. Wanda Timofejewna ritt neben der Kutsche her bis Pestrawka, dort blieb sie an der niedergebrannten Kirche des Popen Tujan stehen, starrte dem schwankenden Wagen nach und senkte den Kopf. Sie war allein, und niemand sah, daß sie weinen konnte. Wer es behauptet hätte, den hätte sie einen Idioten genannt.
    Außerhalb von Pestrawka, dort, wo man einmal die Blatnjaki besiegt hatte mit der List der wandernden Büsche, wartete Jerschow, allein auf seinem Pferd. Er ritt an die Kutsche heran und beugte sich durch das offene Fenster. Michejew schlief, und das war gut so.
    »Ich wollte euch nicht so ziehen lassen«, sagte der Revolutionär leise. »Die gemeinsamen Jahre verbinden doch, verdammt noch mal! Und noch eine Warnung: Die Denikin-Armee rückt unaufhaltsam von Süden her vor. Vom Westen kommt Koltschak. An der Bahnstrecke haben sich Nester gebildet … mal unsere Genossen, mal Weiße Truppen. Der letzte Zug nach Wladiwostok hat drei Wochen gebraucht, mit abwechselnden Erschießungen! Wäre es nicht doch besser, ihr schlösset euch der Roten Armee an?«
    »Jerschow, das geht doch nicht …«
    »Ihr habt andere Namen …«
    »Aber wir bleiben doch dieselben«, sagte Gregor. »Mach's gut, Iwan Iwanowitsch!«
    Jetzt gaben sie sich die Hand; dann riß Jerschow sein Pferd herum und galoppierte im Morgengrauen davon. Er ritt zum Fluß und verschwand sehr schnell in der sandigen Niederung.
    Die Fahrt nach Petschogorsk war nichts weiter als ein Weiterreichen von Posten zu Posten. Überall, selbst in den kleinsten Flecken, saßen die Rotarmisten und überwachten alles. Volksmilizen übten die Polizeigewalt aus, und es kam ein paarmal zu erregten Diskussionen zwischen Tschugarin und einigen Volksmilizionären, die zwar eine Menge Parteiparolen auswendig kannten, aber nicht lesen konnten. Sie starrten die Passierscheine an, betrachteten dann Grazina, Gregor und den alten Michejew und fragten: »Wohin? Namen! Warum dorthin?«
    »Steht alles im Passierschein!« schrie Tschugarin zurück.
    Man übernachtete in Posthaltereien, wie in der Zarenzeit nur begrüßte der Postmeister die Gäste jetzt mit erhobener Faust und brüllte: »Heil, Genossen!« Und im großen Aufenthaltsraum hingen die rote Fahne und ein Leninbild an der Wand. »Nur so kommt man durch! Man muß mit den Wölfen heulen, das ist eine uralte Weisheit …«
    Sie erreichten Petschogorsk nach sieben Tagen. Hier herrschte ein Chaos, Hunderte warteten auf den nächsten Zug. Berge von Säcken und Kisten, Kartons, Bündeln und Flechtkörben verstopften den Bahnsteig. Der rote Vorsteher lief mit zehn Gehilfen herum und brüllte sich heiser, er ließ das Gepäck einfach zur Seite werfen, aber da kamen immer neue Menschen und stapelten ihre Habseligkeiten auf die frei gewordenen Plätze. Es gab regelrechte Faustkämpfe um einen Platz an den Gleisen, bis eine Kompanie der Roten Armee rücksichtslos den Bahnsteig räumte. Nun standen sie alle rund um das Bahnhofsgebäude und starrten nach Westen. Wenn man den Zug kommen hörte, so würde es – das wußte man – einen blutigen Tumult geben.
    Gregor und Tschugarin wandten sich an den völlig erschöpften Bahnhofsvorsteher. »Laßt mich in Ruhe!« schrie der hysterisch. »Es kommt kein Zug! Es kommt kein Zug! Reicht das? Der letzte ist vor neun Tagen abgegangen!«
    »Wir haben einen Passierschein und Platzkarten!« sagte Gregor.
    Der Bahnhofsvorsteher rollte mit
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