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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau
Autoren: diverse Autoren
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stellt, sie der Begriffsverwirrung und der philosophischen Taschenspielerei überführt. Das ist sein Lebensinhalt, Athen von diesen käuflichen Wort- und Rechtsverdrehern zu befreien. Wie kann man da so niederträchtig sein und gerade ihm das Gegenteil von dem anlasten, was er in Wirklichkeit tut. Aber die Athener haben es dem Aristophanes gezeigt. Nach der Aufführung des Stückes erhob sich Sokrates im Theater, er wollte, daß sie ihn mit dem von A. Ausgedachten verglichen. Sokrates erhielt großen Beifall. Das verantwortungslose Schundstück dieses – wie nennt er sich doch gleich – fiel durch. Das kommt davon, wenn man sich als Verkünder ethischer Gebote aufbläst, selbst aber diesen Grundsätzen entgegenhandelt. Ich möchte bloß wissen, was Sie an diesem drittklassigen Schreiberling finden. Für völlig unglaublich halte ich Ihre Prophezeiung, Sokrates und ich würden mit ihm einige Jahre später bei einem Symposion zusammen dialogisierenderweise an einem Tisch sitzen. Ich fürchte, die Menschen werden die Kunst des Wahrsagens in Ihrem Zeitalter verlernt haben.
    Die Bezeichnung Utopia finde ich scheußlich, und wenn Sie davon sprechen, daß es bei Ihnen jetzt eine Literatur gibt, die solche Utopias schildert, dann ist mir das vollkommen unverständlich. Ich fürchte, die Menschheit wird in den kommenden Jahrtausenden nicht nur das Wahrsagen, sondern auch das Denken verlernen. Utopia bedeutet Nichtland, und utopische Literatur also Nichtlandsliteratur, also eine Literatur ohne Umgebung, ohne Atmosphäre, damit ohne Menschen, ohne Charaktere und schließlich ohne Sprache. Falls sie überhaupt schreibbar ist, kann ich mir vorstellen, daß da keine Lerchen singen, keine Blumen blühen, keine Kinder spielen, keine außergewöhnlichen Leute herumlaufen wie mein Lehrer Sokrates, und menschliche Wesen, falls es die da überhaupt gibt, werden den Schatten der Unterwelt gleichen. Wie soll da geliebt werden? Die Frauen werden keinen Busen haben und die Männer keinen Phallos.
Ihr Aristodemos
    Lieber Aristodemos,
nun halten Sie mal die Luft an. Sonst wären Sie für mich ein
Beweis dafür, daß große Dichter von ihren Zeitgenossen verkannt werden, weil diese zu beschränkt sind und nicht über
ihren täglichen Kleinkram hinwegsehen können.
Ich finde es sehr gut, wie Aristophanes seine literarische
Arbeit auffaßt. Lassen Sie es sich von mir, dem 2400 Jahre Jüngeren, noch einmal ins Gedächtnis rufen. Er erklärte sinngemäß:
»Umsonst baute ich darauf, daß meine Zuschauer etwas
von der Komödie verstünden, aber was für Stücke haben sie
heute wieder bevorzugt? Und mit Preisen bedacht? Billiges,
albernes Zeug. Ich würde es als Betrug empfinden, nur um die
Zuschauer zum Lachen zu bringen, die alten, immer wieder
aufgewärmten Späße hervorzuholen, als da sind: die angenähten, dicken baumelnden Schwänze, mit denen man vielleicht
kleine Kinder erschrecken kann. Ich will auch nicht dauernd
über Glatzköpfe lachen lassen oder über tapernde Greise, genausowenig wie ich es lustig finde, wenn die da auf der Szene
wie Verrückte herumhopsen und juhu schreien. Das soll lustig
sein?
Wenn ich auf etwas vertraue, dann auf das Epische.« Und lassen Sie mich, lieber Aristodemos, erklären, was Aristophanes mit diesem Begriff meint: Das, was die Worte ausdrücken oder erzählen, wie es die Worte sagen und schließlich
welch Geschehen sie wiedergeben, das, was mittels Worten
berichtet wird, dem Gang der Handlung nach, der Geschichte
also, aber auch der Art und Weise, wie die Worte es auszudrücken vermögen und welchen Sinn sie hineinzulegen imstande sind.
»Ich will auch nicht«, fuhr A. fort, »zwei- oder dreimal dasselbe bringen. Immer versuche ich außergewöhnliche, bisher
unbekannte, auch ungewohnte Ideen vorzustellen. Kein Charakter soll dem anderen gleichen, sie sollen unterschieden
sein.«
Und: »Als ich zum Beispiel dem Kleon auf den Bauch getreten habe, habe ich es als erster getan. Nachdem er aber gefallen ist, kein Wort mehr über ihn. Andere Schreiber jedoch finden da kein Ende. Wenn sie einmal eine Figur zur Zielscheibe
genommen haben, zum Beispiel diesen Lampenfabrikanten
Hyperbolos, können sie sich nicht mehr bremsen, auf seiner
Mutter trampeln sie schon herum. Wenn einer ein Stück auf
diesen armen Hyperbolos gemacht hat, kommen die anderen
und machen wieder Stücke auf ihn, das wird dann zur Mode. Wenn aber die Zuschauer über alte Hüte immer wieder und
wieder lachen, dann will ich ihren Beifall nicht
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