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Lichtspruch nach Tau

Lichtspruch nach Tau

Titel: Lichtspruch nach Tau
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geworden. Diokleides, der
einstmals Bekränzte, ist längst hingerichtet. Dafür sterben jetzt
andere, die unschuldig sind.
Die Prozesse dauern an, da will man hier in dieser Stadt
nicht mehr sein. So ist die Ausgangssituation bei den »Vö
geln«. Nirgendwo auf der Erde gibt es einen Ort, wo man hinkönnte, überall Streit, Krieg, falsche Beschuldigungen, Miß
gunst, Mangel.
Die Utopie des A. – Sie sehen, lieber Klausmeier, ich gebrauche Ihren Ausdruck – ist abstrakt, zwischen Erde und
Himmel angesiedelt. Im Reich der Vögel wollen sich die beiden Athener niederlassen, sie gründen eine Wolkenvogelstadt,
Wolkenkuckuckshausen. Beachten Sie die Grundlagen, auf
denen dies Reich der Phantasie errichtet sein soll:
Um hier zu leben, braucht man kein Geld, sagt der Vorvogel.
Dadurch bekommt man das Leben frei von Betrug, entgegnet der ehemalige Athener.
»Nichts wäre besser und wünschenswerter, als wenn man Flügel hätte. Wer von euch Zuschauern ein schönes Leben
führen möchte, der komme zu den Vögeln.«
Das soll man philosophisch auslegen. Sich weg von hier
denken und dabei neue Maßstäbe setzen. »Denn was bei euch
nach den Gesetzen strafbar ist und als schändlich gilt, hier bei
uns Vögeln ist es erlaubt. Wer zum Beispiel bei euch mit einem
Brandmal an der Stirn auf der Flucht ist, hier bei uns wird er
als buntgefiederter Vogel aufgenommen, und wer als Sklave
sein Leben allein, ohne menschlichen Anhang, fristen muß, bei
uns hier findet er seine Brüder, und ein Großvater stellt sich
auch noch ein.«
Dennoch kann ich nicht verhehlen, daß ich zwischen Zustimmung und Ablehnung schwankte. Es lag meiner Meinung
nach an einer nicht genug logischen Denkweise, wie sie Dichtern oder Stückeschreibern eigen ist. Statt nun ganz klar und
eindeutig einen Grundsatz darzulegen, läßt A. vieles zwielichtig und zweideutig, und das kann ich nur auf seine ideologische Unklarheit zurückführen.
Gut, wenn A. fragwürdige Gestalten vorführt, die sich da
oben gleich niederlassen wollen, kaum ist diese Wolkenkukkucksstadt gebaut, und die er vertreiben läßt, wie diesen honigseimzüngigen Lobdichter. Auch daß der Priester gehen
muß, weil er zuviel Opfer verlangt, gefiel mir, genau wie dieser Orakeldeuter mit seinen Bauernfängertricks – »Das Orakel
sagt, man soll mir einen Mantel und neue Sandalen geben« –
damit ausgetrickst wird, daß der Vogelstadtathener ihm ein
anderes Orakel entgegenhält: »Das Orakel sagt, wenn solche
Gauner wie du eintreffen, soll man sie durchprügeln.« Für wesentlicher halte ich, daß Baumeister Meton, der die Luft vermessen will, »um jedem sein eignes Stück zuzuteilen«, also wieder Eigentum zu schaffen, des Vogellandes verwiesen wird. Nur ist Meton, der dafür herhalten muß, ein ehrenwerter
Athener Bürger, dem man so nicht beikommen dürfte. A. läßt auch den Regierungsbeauftragten (»Ich bin hier als
Vertreter der obersten Aufsichtsbehörde für diese Stadt bestimmt worden«) und den Gesetzblatthändler (»Ich habe ein
Bündel Gesetze anzubieten«) hinausprügeln, aber hier hätte er
doch deutlich machen müssen, daß ein Gemeinwesen ohne
Gesetze nicht leben kann. Es kommt auf die richtigen Gesetze
an. Sokrates und ich bemühen uns, da klare Begriffsbestimmungen zu schaffen, indem wir immer wieder die Frage stellen, was ist gut, was ist schlecht, für den einzelnen Menschen
wie für das Gemeinwesen. Aber der A. läßt diese Leute alle
unbekümmert wegjagen, wir brauchen euch nicht.
Und dann diese Worte: »Ihr menschliches Schattenwesen,
aus Lehm gebacken, ihr vergänglichen Schemen, ihr schwächlichen Zwerge, unflügge Eintagsfliegen…« – ist das nicht zu
herabwürdigend?
Nun ja, die »Vögel« erhielten den zweiten Preis. Besser als
nichts.
Ihr Aristodemos
Lieber Aristodemos,
    Sie gehen an das Stück von A. heran wie ein Fleischer, der ein Schwein zerlegt. Dies Stück eignet sich für einen Braten, daraus machen wir eine Wurst, das werfen wir den Hunden vor, und das ist nicht zu gebrauchen. Ist Ihnen und Ihrem hochverehrten Lehrer Sokrates einmal bewußt geworden, daß es sich bei den »Vögeln« um ein Kunstwerk handelt, um liebenswürdigste und phantasievollste Kunst? Da kritteln Sie nun aus Ihrer beschränkten Alltagssicht an Einzelheiten herum: Das hat er nicht richtig gesehen und das auch nicht, und der Meton war eigentlich so. Wir heutzutage wissen nicht, wer dieser Meton war, wollen es auch nicht wissen, für uns ist er im Stück ein Baumeister, der alles vermessen,
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