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Lichthaus Kaltgestellt

Lichthaus Kaltgestellt

Titel: Lichthaus Kaltgestellt
Autoren: Paul Walz
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etwas Licht. Sie summte »Guten Abend, gute Nacht«.
    Er sprach nie mit ihr. Anfangs hatte sie sich gefragt, ob er befürchtete, dass sie ihn an seiner Stimme erkennen könnte, hatte Christoph in Verdacht, den Gedanken verworfen und später erneut aufgenommen. Hatte die Familie nicht ein Wochenendhaus in der Eifel? Er hasste und liebte sie, seit sie Schluss gemacht hatte. Verstand nicht, dass er und seine Berührungen sie am Ende angeekelt hatten. Mittlerweile war ihr alles egal. Ihre Hand schien gebrochen zu sein, denn sie konnte sie kaum bewegen. Zum Schreien war sie nun zu schwach, stöhnte nur noch in diesem Höllenfeuer, das überall zu lodern schien. Sie summte weiter. Das Lied war kindisch, doch es löste Erinnerungen aus, und sie driftete weg. Sie verfiel in eine Art Trance. Ihr Geist streifte durch ihr Leben. Sie traf Menschen, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte, sie sprach mit Vater über den Tod und die Erlösung, mit Oliver über die Zukunft. Manchmal durchlebte sie auch die Vergangenheit. Heiligabende, sie roch sogar die Kerzen, Geburtstagsfeiern mit Topfschlagen und tollen Torten, die Urlaube in Frankreich, Spanien und sonst wo. Ihr Herz wurde leicht und entfloh diesem Keller wie ein schwereloser Vogel, ließ alles hinter sich und suchte Frieden. Wenn sie zu sich kam, war die Wucht der Dunkelheit und der Verlassenheit unerträglich. Stundenlang weinte sie, konnte nicht aufhören. Sie würde die Sonne nicht mehr sehen und hier unten sterben, wenn er den Spaß an ihr verlor.
    *
    Lichthaus fuhr schon früh nach Hause. Der Streit mit Marx und die Diskussionen mit Müller hatten ihn angefressen. Für den ersten Tag nach dem Urlaub war das einfach zu viel. Sollte der Papierkram doch warten. Er wollte nur noch weg. Als er ankam, waren Claudia und die Kleine nicht da. Auf dem Küchentisch fand er einen Zettel: »Bin in der Galerie.« Sie hatte wie immer nicht unterschrieben. Enttäuschung machte sich breit, er hatte sich so nach den beiden gesehnt.
    Claudia plante eine Ausstellung und stand mit zwei Galerien in Verhandlungen. Beide wollten die Ausstellung machen, da Claudia mehrere Preise für ihre Arbeiten gewonnen hatte, doch sie hatte auch sehr genaue Vorstellungen, wie Präsentation und Vernissage ablaufen sollten. Das führte zu ständigen Diskussionen. Er hielt sich da raus. Müde setzte er sich in den Garten und schaute den Berg hinauf. Lichthaus und Claudia hatten hier selbst einen kleinen Weinberg. Nur rund einhundert Rebstöcke in drei Reihen. Die Vorbesitzer ihres Hauses waren hauptberuflich Winzer gewesen, hatten aber nach und nach alle Weinberge verkauft und nur dieses eine Stück für den Eigenverbrauch zurückgehalten. Claudia und er hatten sich nicht darum gekümmert, als sie im September eingezogen waren. Sie waren mit Umbau und Einzug zu beschäftigt gewesen, als dass sie an die Reben gedacht hätten. Wenige Wochen später läutete es und ein alter Mann in Arbeitskleidung stand vor ihnen, während hinter ihm auf der Straße sein Traktor tuckerte. Auf dem Kopf trug er einen speckigen Lederhut, der aussah, als sei er zu klein. Sein Gesicht war dunkelbraun gebrannt, wobei die roten Backen von langjährigem Weingenuss zeugten. Seine Augen aber waren hellblau wie Wasser und strahlten die beiden an.
    »Was macht ihr denn mit den Trauben?«, fragte er sie im schönsten Dialekt und lächelte sie mit seinem lückenhaften Gebiss an. Als er dann ihren verständnislosen Blick sah, klärte er sie auf. Sein Name sei Otto Schmitt, er sei Winzer hier im Ort. Seine Weinberge grenzten unmittelbar an die wenigen Weinstöcke der Familie. Die Lese sei in vollem Gange, und er habe bemerkt, dass ihre Trauben noch unberührt hingen. Lichthaus und Claudia waren zum Amüsement des Alten völlig ratlos, doch Otto, wie sie ihn seitdem nennen durften, bot seine Hilfe an. Er bewirtschaftete die Reben mit und lieferte quasi als Pacht einige Kisten Wein pro Jahr. Zwischen ihnen und dem Alten hatte sich mittlerweile eine innige Freundschaft entwickelt.
    Während Lichthaus noch in Erinnerung versunken dasaß, kamen Claudia und Henriette nach Hause. Strahlend ging er ihnen entgegen und küsste sie zur Begrüßung.
    »Na, wie war’s?«, fragte seine Frau.
    Lichthaus erzählte, was alles vorgefallen war, und ging ins Haus, um die Geschenke der Kollegen zu holen.
    »Marx spinnt wohl langsam. Kaum bist du aus dem Urlaub zurück, schon geht das wieder los. Du hattest allen Grund, es dem Mistkerl zu zeigen.« Claudia
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